Thalheimer mag ich manchmal. Thalheimers Orestie etwa würde ich sogar ein zweites Mal sehen, „Was Ihr wollt“ in einer Arena aus Schlamm war nicht übel, aber als ich kurz vor zehn das Deutsche Theater nach Thalheimers Wildente verlasse, weiß ich gerade gar nicht so, ob es mir gefallen hat.
In der Wildente geht es um zwei Freunde, oder vielleicht besser: frühere Freunde, von denen der eine der Sohn des Mannes ist, für den der Vater des anderen im Gefängnis war. Das ist bekannt. Nicht bekannt – zumindest dem Betroffenen unbekannt – ist aber, dass der Vater des Freundes auch der Vater des Mädchens ist, das er für seine Tochter hält, und also der frühere Liebhaber seiner Frau. Im Rokoko etwa oder in einem Konversationsstück der Zwanziger wäre dies eine Exposition für eine Komödie mit viel hin und her und Gesang, aber weil die Wildente dem 19. Jahrhundert angehört, als man Probleme ernst zu nehmen pflegte, geht am Ende alles höchst dramatisch in Scherben: Der Freund verrät dem scheinbaren Vater die Wahrheit über seine vermeintliche Familie, die darüber zerbricht, und um das Maß voll zu machen erschießt sich am Ende die Tochter nur halb aus Versehen und liegt tot und blutend auf dem Dachboden herum.
Da es Thalheimers Vorzügen gehört, den Zeithaushalt der stets eiligen Berliner nicht zu überfordern, dauert das Ganze nur so ungefähr zwei Stunden. Damit aber auch in knapp zwei Stunden alles passiert und auch der letzte Zuschauer des Stücks Zusammenhänge und Botschaft mitbekommt, wird jeder Ausdruck, jede Geste, jeder Satz ein bißchen zu sehr aufgedreht, leicht übersteuert, und das nervt. Familienglück muss aussehen wie eine Werbung für Margarine, Unglück krümmt den Unglücklichen wie eine rheumatische Erkrankung, und die Tochter drückt sogar für eine Vierzehnjährige ein wenig sehr intensiv Empfindungen aus, die man vielleicht gerade deswegen kaum teilt. Trotz der Kürze der Inszenierung komme ich am Ende ein wenig ermattet aus dem Zuschauerraum.
Schön immerhin ist das Bühnenbild, eine runde, schwarze, abschüssige Ebene, sehr schlicht. Man sieht das öfter, nicht zu Unrecht, weil es Möglichkeiten bietet, die Räume oft nur mit Hilfsmitteln oder Tricks eröffnen, doch bei allem Können, bei allen überzeugenden Leistungen der Schauspieler (Sven Lehmann sei besonders hervorgehoben), fällt mir auf dem Vorplatz des Theaters bei einer späten Limonade auf, dass die Inszenierung gut war, alles rundherum technisch gelungen, aber gleichwohl zwei Stunden lang nichts auf der Bühne mein Herz berührt hat, und ich weiß nicht, liegt es Thalheimer oder gar an Ibsen.
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