Dies, meine Damen und Herren, sind die Tage des Herings, dem einst die Hanse ihren Reichtum verdankte, und zwar zu recht. Der betrüblichen Überfischung der Weltmeere ist es anzulasten, dass auch dieser Fisch stetig und unaufhaltsam teurer werden wird, und dermaleinst nur noch in winzigen Portionen auf riesigen, spiegelnd weißen Tellern zu erlesenen Anlässen gereicht werden wird. Bares Erstaunen werde ich ernten als alte Dame, wenn ich vom Überfluss an Hering in längst vergangene Tagen raunen werde, als es möglich war, drei Tage lang kaum etwas anderes zu verzehren.
Dass Stockholm unter runden 29° C schwitzt, wird dagegen in ferner Zukunft keinen müden Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Ich als ein Kind der Gegenwart allerdings schleppe mich in Chucks, Jeans und einem zwar leichten, doch nicht so leichten Shirt über die Uferpromenade, die hier Strandväg heißt oder so ähnlich. Links von mir prangt eine Häuserzeile, die wohl dem Wunsch der letzten Jahrhundertwende entsprungen ist, auch so eine Art Ringstraße sein eigen zu nennen, silbrig glitzert rechts das Ostseeewasser, und abgesehen von der Wärme fühle ich mich vollkommen wohl. Die anderen (außer dem J., der aus grundsätzlichen ästhetischen Bedenken nie offene Schuhe trägt) haben Sandalen an den Füßen, aber das kommt für mich nicht in Betracht. Tatsächlich besitze ich nur drei Paar flache Schuhe und die habe ich mit. Keines davon ist offen. Alle meine Sandalen haben Absätze, auf denen ich nicht laufen kann.
Beim Heringsverzehr kommt mir die für lange Stadtspaziergänge bei 30° C im Grunde unpassende Bekleidung allerdings wieder entgegen, denn auf den ersten Blick (auf den zweiten ist alles halb so wild) erscheint Eriks Bakfickan in Östermalm trotz der nackten Marmortische und der Lage im Souterrain ein wenig zu formell für Sandalen und kurze Hosen. Die Kellnerin indes ficht dies nicht an, allerdings, so sagt man uns, schließt in zwanzig Minuten die Küche. Man müsse also schnell bestellen. Überhaupt findet das gesamte Leben der Stockholmer früher statt als für Berliner Verhältnisse üblich.
Dass es hier Hering sein soll, ist klar. Ich bestelle also Bakfickan´s Herring and Baltic Herring als kleine Portion, vorweg einen Krabbensalat auf Toast. Dazu ein Bier, das gut sein mag, aber das trotzdem am Ende der J. trinkt, weil ich nicht einmal dann Bier trinken kann, wenn quasi nichts anderes zum Essen passt.
Der Hering ist aber auch mit Wasser grandios. Die nordischen Küchen haben vermutlich nur wenige Verdienste um die internationale Kochkunst, zumindest sind mir keine bekannt, aber der eingelegte Hering gehört sicherlich dazu. In verschiedenen Marinaden, dunkles Brot dazu, kräftig, aber nicht salzig, von feiner Textur, aber gleichwohl fest, wird der Hering in drei kleinen Töpfen serviert (die große Portion umfasst deren fünf). Zu dem Hering gibt es – das scheint generell üblich zu sein – Käse. Hier ist es eine Art Nocke aus Parmesancreme.
Unglaublich fett ist das Gericht, zumal auch der Krabbensalat auf Toast in schierer Mayonnaise serviert wird. Nicht schlecht ist dieser Krabbensalat, auch in der Vorspeisenportion reichlich, aber dies bekommt man in vergleichbarer Qualität eigentlich überall und kann auch selbst derlei zubereiten. Einen solchen Hering dagegen gibt es in Berlin nicht, und die Produkte, welche man in Gläsern kaufen kann, sind zugegeben nett, nicht übel, aber richtig gut sind sie nicht, nicht so göttlich, dass man beschließt, sich tagelang hiervon zu ernähren, und schließlich abreisen wird am Montag mit einem leisen Bedauern, dass es nun fürs Erste ein Ende hat mit der Heringsesserei.
Die Crème brûlée bei Eriks Bakfickan dagegen war nicht übel, aber keineswegs über Durchschnitt.
ihre texte sind brillant – ein schönes lesen am morgen. danke.
Schön, dass Sie wieder da sind! Meer und Hering kann man beim Lesen förmlich riechen 🙂
REPLY:
Danke, Ihnen beiden.