Friteuse

Als der C., den ich ab und zu treffe, von dem Restaurant nebenan erzählt, wo es immer so stinkt, fällt mir der R. wieder ein. Der R., seine Diss und seine Friteuse.

Der R. ernährte sich ohnehin wie das Letzte. Schon als er in die WG einer Freundin einzog, lebte er eigentlich nur von Tiefkühlpizza (1,59 Edelsalami von Aldi), Backofenfritten, Bratwurst und Remoulade. Man sah es ihm nicht an, aber der R. bestand eigentlich nur aus minderwertigem Fett. Vermutlich verschlang die Diss irgendwie die Fettmengen, die der R. aß. Der R. selber war rötlich, hager, mit hervortretenden Adern und einem Adamsapfel, vor dem ich mich ein bißchen ekelte. Andere Frauen ekelten sich offenbar auch, denn der R. hatte keine Freundin, und auch sonst war beim R. diesbezüglich nie etwas los. Vielleicht kompensierte der R. das irgendwie, aber auf keinen Fall durch gutes Essen.

Irgendwann kam ich in die Küche der WG, und auf der Arbeitsfläche stand eine Friteuse. Die Friteuse hatte der R. von zu Hause mitgebracht. Von Stund an ernährte er sich nur von Gebackenem. Er fritierte Hähnchennuggets aus Separatorenfleisch in Form kleiner Saurier. Er fritierte in Scheiben geschnittene Äpfel (ansonsten aß er kein Obst). Er fritierte tiefgefrorene, panierte Schweineschnitzel und er fritierte – das habe ich selbst gesehen – einmal ein ganzes Huhn. Einmal die Woche brachte er das Fritierfett in alten Flaschen nach unten.

Nach und nach wurde die Friteuse den anderen Bewohnern erst lästig, dann unerträglich. Man verdeutlichte dem R., dass man an sich nichts gegen unkonventionelle Ernährungsgewohnheiten habe, aber nicht nur der R. und seine Friteuse, sondern die Küchenvorhänge, die Küche selbst, alles, was sich in der Küche befand und auch die anderen Bewohner der WG rochen immerzu nach altem Fett. Entweder (so hieß es einige Wochen später) komme die Friteuse weg, oder man müsse dem R. kündigen.

Der R. wehrte sich. Er stehe kurz vorm Abschluss seiner Diss, und da sei es schlecht mit einem Umzug. Zudem rieche die Friteuse kaum, und außerdem sei es wenig tolerant und deswegen gar nicht schön von den anderen, ihn und seine Friteuse zu diskriminieren. Als aber auch die Nachbarn begannen, auffallend oft von den Gerüchen zu sprechen, die vom Küchenbalkon der WG das ganze Haus infizierten, warf der damalige Freund einer Mitbewohnerin eines Nachts die Friteuse in einer betrunkenen Laune einfach weg. Am nächsten Morgen kam der R. in die Küche und stand sprachlos vor der leeren Arbeitsfläche. Als er seine Sprache wiederfand, war der Teufel los. „Diebe“ war noch der schlichteste Ausdruck, mit dem er die Mitbewohner belegte.

Dass man mit Leuten, die einen bestehlen, nicht zusammenleben kann, versteht sich von selbst. Der R. zog also aus. Als er alle seine Sachen in einen Vito verstaute und davon zog, lief meine Freundin getrieben von schlechtem Gewissen ihm die Treppe hinab hinterher. In der Hand hatte sie das Glas, in dem das Telephon- und Haushaltsgeld der WG für die laufende Woche lag, und das gab sie dem R. Er möge sich eine neue Friteuse kaufen. Er nahm das Geld und fuhr davon.

Irgendwann trafen meine Freundin und ich den R. in der Uni. Wie es ihm gehe, fragten wir ihn, und er winkte lässig mit der Hand ab. Seine Diss sei eingereicht, erfuhren wir. Er habe auch schon einen Job. Nur mit dem Wohnen sei es eine schwierige Sache. Schon wieder suche er ein Zimmer, nirgendwo komme man zur Ruhe. Das sei schlimm. Wie es denn mit seinem früheren Zimmer stehe, fragte er meine Freundin. Diese schüttelte bedauernd den Kopf. Das Zimmer werde bereits seit Wochen wieder genutzt, teilte sie dem R. mit, und verschwieg, dass die Nutzung des Zimmers vorwiegend in der Tischtennisplatte bestand, die man neu angeschafft hatte und die weder roch noch fritierte.

17 Gedanken zu „Friteuse

  1. beim lesen solcher geschichten über das grauen des realen bilden sich in meinem kopf immer die abstrusesten erweiterungen … z.b. wie sich meine (ungeborene) tochter mit so einem typen einläßt und ich eines tages hinter das geheimnis des fettgeruchs komme. und wie mir an diesem tag klar wird, dass ich anscheinend restlos alles in meinem leben falsch gemacht habe und daran zerbreche …

  2. Die bedauerliche Koch & Ess-Störung des jungen Mannes ist so unschön wie die weibliche Häme mit der sie hier beschrieben & kommentiert ist.

  3. Die unheiligen Madeleines der unschönen olfaktorischen Erinnerung! Überhaupt die Gerüche von Wohnungen und einzelner ihrer Bewohner. Sie können einen nach Jahrzehnten noch verfolgen.

  4. Ich litt vor Jahren an Hausbewohnern, die dank einer architektonischen Fehlleistung ihre Küche unter unserem Schlafzimmer hatten – Sie trieben es noch viel schlimmer – winters wurde frittiert, sommers wurde im Freien, allerdings direkt vor der Küchentür, sprich unter dem Schlafzimmerfenster grilliert – So gab´s zu jeder Jahreszeit olfaktorische Attentate unschuldig ins Öl oder in die Glut geratener Formfleischklumpen – auch das beschleunigte damals die Entscheidung für eigenen Grund und Boden

  5. hey…. so geil geschrieben, dass ich alle erinnerungen und neuerliche frittiergerüche zu einem olfaktorischoptischakkustischen gesamteindruck in meinem hirn zusammenzimmere…
    heeeeeeeeerrlich 🙂
    was mag nach tiefkühlpizza und friteuse wohl kommen? könnten sie den R. bitte im auge behalten?? ich wäre echt neugierig und vermutlich wird er verhungern, wenn ihm nicht was neues einfällt.

  6. REPLY:
    Diese Überlegungen würde indes fast jeder hegen, dessen Tochter eines Tages mit einer Friteuse mit dazugehörigem Mann nach Hause käme. Ihre gedanklichen Eskapaden, Herr Timafaya, sind insofern ganz normal.

  7. REPLY:
    Ich habe ihn leider ein wenig aus den Augen verloren, habe ihn aber grade gegooglet, und er lebt noch. Der Bildersuche nach ist er optisch unverändert. Die Friteuse war nicht mit auf dem Photo.

  8. REPLY:
    Das „prompt erwischt“ signalisiert eine gewisse Einsicht ins Problem und von diesem Problem abgesehen erscheint der kleine Text auch mir als sehr effektvoll geschrieben. Ich werde darum den Blog noch etwas intensiver erkunden, obwohl ich den Geruch nach ‚lady-feminism‘ so wenig ausstehen kann wie andere Leute den einer Friteuse.

  9. REPLY:
    Ironie lass nach! – Spott, Witz und die Heiterkeit ist das eine. Häme, Ekelbekundungen, Verachtung das andere. Shaftesbury, Ahnherr der europäischen Aufklärung, hat vor 300 Jahren den ‚test of ridcule‘, die ‚Probe auf Lächerlichkeit‘, zu einer ganz wunderbaren philosophischen Wahrheitsmaschine ausgebaut. Alles muß diesem Test auf Lächerlichkeit unterworfen werden können. Kann man über eine Person, eine Idee usw. lachen ist sie desavoiert, erledigt, beseitigt. Mir war aber weder beim Text noch bei den Kommentaren danach. Und der R. existiert für mich in gewisser Weise noch immer, als hilfsbedürftiges Wesen z.B., mit dem ich freilich nicht gleich die Wohnung teilen möchte. Und vielleicht ist ja auch seine Diss sehr gut geworden, und zwar darum weil er sich nicht jeden Tag stundenlang mit Kochen & Essen und dem Nachdenken & Reden darüber wie man es noch besser macht beschäftigt hat.

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