„Dieses Jahr ist das Jahr der verliebten Vorgesetzten.“, erzählt mir meine liebe Freundin B. und führt gleich mehrere Belege dieser These an. Am Nachbartisch schaut ein älterer Herr interessiert von seinem Hähnchencurry auf und überlegt – es ist ihm deutlich anzusehen – ob und welche Mitarbeiterin ihm am besten gefällt. Die B. beugt sich vor und spricht etwas leiser. Ihre Thesen klingen überzeugend: Nicht nur, dass der Herr, für den B. selbst seit Jahren tätig ist, seit vier Wochen auf einmal in amouröser Angelegenheit auf sie zukommt. Eine jüngst in fremde Lande versetzte Freundin teilte gleichfalls mit, dass ihr früherer langjähriger Vorgesetzte beim ersten Mittagessen nach Ende der Zusammenarbeit ihr seine Liebe gestand, und sogar die A. wird seit kurzem von ihrem Chef verehrt und überlegt derzeit ernsthaft zu kündigen. Künftig, so die A. arbeite sie nur noch für Frauen oder Männer ohne Mundgeruch.
Die B. selbst immerhin, erfahre ich, ist nicht grundsätzlich abgeneigt. Die B. verbringt ihre Tage und Nächte schon ziemlich lange allein, und ein mittelfrisch geschiedener Mann ist möglicherweise selbst dann eine amüsante Alternative zu abendlichen Gesprächen mit dem eigenen Kater, wenn er 52 und schon eher nicht so besonders temperamentvoll ist. Selbst der Umstand, dass ihr Chef ihr den Vorschlag für ein gemeinsames Abendessen per Outlook-Kalender (wenn auch als „privat“ gekennzeichnet) übermittelt hat, und seinem Werben die kunstvoll verschlungene schriftliche Versicherung vorangestellt hat, dass Umstände gleichgültig welcher Art, die außerhalb der beruflichen Sphäre anzusiedeln sind, die Qualität der beruflichen Zusammenarbeit auf keinen Fall verkürzen, hat die B. nicht irritiert. Allerdings werde sie den Job wechseln, versichert sie mir, wenn es mit ihrem Chef etwas werde, und für einen Moment überlege ich, ob möglicherweise das Liebeswerben männlicher Vorgesetzter einer der Umstände sein könnte, die der weiblichen Karriere durch beruflich kontraproduktive Anstellungswechsel Steine in den Weg legen und so für die deutlich weniger entwickelten Werdegänge von Frauen verantwortlich sind. Vielleicht haben Gender-Forscherinnen dies bisher übersehen, weil an solchen Fachbereichen männliche Vorgesetzte nicht vorkommen, und ältere Anzugträger am Nachbartisch den Forscherinnen nie beim Aufbruch nach dem Mittagessen bei einem Thai in Mitte so demonstrativ zuzwinkern, dass sie sich bis zur U-Bahn fragen, wessen Vorgesetzter der ältere Herr denn nun gern wäre.
Vor allem kommt die B. in diesem Gender Mainstreaming nicht vor.
REPLY:
Vielleicht auch das. Ich habe tatsächlich immer mal wieder darüber nachgedacht, wieso Frauen es beruflich oft nicht weiter schaffen, und ich nehme inzwischen an, dass das zu ungefähr gleichen Teilen auf das männliche wie weibliche Konto geht.
Das ist doch eine Falle. Die Männer, die es braucht, die Emanzipation umzusetzen, die wollt ihr dann auch nicht.
diese art von karrierehemmung existiert zweifellos! simpleren gemütern reicht ja vielleicht schon ein korb, und vorbei ist´s mit jeglicher unterstützung …
wobei mir gerade eine e. eingefallen ist: die hat sinnigerweise den chef, den exmann und den vater ihres kindes in personalunion. es heißt, sie können auch bei der arbeit schon lange nicht mehr besoners gut miteinander …