Ich bin verliebt. Leider beachtet der schöne Page mich ebenso wenig wie die S. aus Stuttgart, deren Eltern mit meinen abends an der Bar sitzen. Die S. und Schwesterchen und ich sitzen solange gemeinsam auf dem Balkon und spielen Mensch-ärgere-dich-nicht. Weitere Spiele haben wir aus irgendeinem Grund nicht mit.
Es ist wahnsinnig heiß. Rund um Luxor flimmern die roten Berge in der Sonne. Auf allen Photos aus jenem Sommer ist der Himmel so blendend weiß, wie ich mir den Tod vorstelle, irgendwann später, aber in diesem Sommer bin ich noch zehn und unsterblich. Damit das auch so bleibt, haben Schwesterchen und ich strikte Order, was gegessen werden darf und was nicht.
Die honigtriefenden Süßigkeiten vor Ort gehören nicht dazu. Jedesmal, wenn sich mir einer mit klebrigem, triefenden Konfekt nähert, presse ich die Lippen aufeinander und schaue weg. Manche Ägypter lassen dann locker, andere aber versuchen mit Worten und Gesten die Vorzüge ihrer Spezialitäten anzupreisen. Ich bin genervt.
Überhaupt bin ich von den Ägyptern enttäuscht. Ich mag überhaupt keine lauten Leute, ich mag keine Leute, die einen anfassen, ich finde die Zähne der Händler in die Souks widerlich, und die Gerüche in den Straßen gefallen mir auch nicht. Sowieso: Das hunderttorige Theben, teile ich meinem Vater mit, kann mich mal. Auch die Pyramiden habe ich mir größer vorgestellt. Man erträgt mich mit freundichem Stoizismus.
Auf Ausflüge habe ich nur so mittelviel Lust. Ich mag das Hotel mit seinen Samtfauteuils. Ich mag die Quasten, die ein wenig staubig riechen, nähert man sich ihnen mit dem Gesicht, und ich mag die krakelierte Trinkgläser mit dem schmalen, goldenen Rand. Es gibt viel, viel modernere Hotels vor Ort, die größere Pools und eigene Kinderarenen unterhalten, aber ich sitze gern mit S. aus Stuttgart in der Lobby und sehe dem schönen Pagen zu. Irgendwohin zu fahren und da zu schwitzen gefällt mir weit weniger gut.
Ins Tal der Könige komme ich trotzdem mit. Noch viel heißer als in Luxor ist es hier, auf der anderen Seite des Nil, und noch Jahrtausende später tun mir die Arbeiter leid, die die Gräber und Tempel in den Stein gehauen haben. Auf den Grabmalereien sehen die Arbeiter manchmal wie die Ägypter um mich herum aus, wie sie am Straßenrand stehen, den Wagen nachsehen, aufragend aus rötlichem Staub.
Die Grabmalereien und Reliefs habe ich fast alle vergessen. Die Geierkrone, der hundsköpfige Anubis, Arbeiter im Schilf und bunte Kelche, die Diener seltsam steif auf den Armen tragen, habe ich gesehen, Könige vor ihren Richtern und Reliefs mit Tänzerinnen, die Salbkegel auf den Köpfen tragen. Letztere werfen Fragen auf: Ob und wie der sich im Laufe des Abends verflüssigende Kegel den Tänzerinnen wohl in die Augen rann? Und tanzten die Mädchen gern in ihren durchscheinenden Gewändern? Oder war die Freude an Tanz und Gesängen gekauft bloß, künstlich, Geschäft oder gar Zwang, wie bei den Verkäufern von Süßigkeiten und kleinen Gebinden von Blumen, die – kaum älter als ich zum Teil – ununterbrochen, die ganzen zwei Wochen, ihre Waren anpriesen: Bemitleidenswert ebenso wie lästig.
Bewundernd, beeindruckt, staunend gar, hinterlässt mich nichts auf dieser Reise. Müde zwar, doch seltsam achselzuckend, komme ich abends zurück ins Hotel. An kaum einen lebendigen Moment dieses Tages in der Stadt uralter Gräber kann ich mich erinnern, doch die Rückkehr zum Hotel, den Ausstieg auf der Auffahrt und mein hastiger Lauf durch die Halle ist ganz gegenwärtig geblieben: Getrieben vor Angst, der schöne Page könnte mich so sehen, staubig und verschwitzt, und lächerlich sehe ich mich zehnjährig in meiner Sorge um den Eindruck, den einer von mir haben könnte, dem ich so gleichgültig bin wie ein totes, steinernes Bild in einer dunklen, nie geöffneten Kammer.
„Man erträgt mich mit freundichem Stoizismus. “ – Wenn sie das tut, bin ich der Welt bis heute dafür dankbar.
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Und doch hegt man irgendwo die gespannte, halb angstvolle Erwartung, die Welt werde die Arme ausbreiten zu einer warmen Umarmung.