Im Entenfett

Sehen Sie hier, meine Damen und Herren, eine mittelalte und mitteldicke Dame in ihrem Nachthemd mit lustigen Volants im Bett sitzen und tippen. Was Sie nicht sehen: Diese Dame, verehrtes Publikum, ist ganz und gar getränkt mit Entenfett wie eine ägyptische Mumie mit Salben und Ölen. Auf dem Nachttisch zu ihrer Linken liegen wahnsinnig viele Bücher, entenfettdurchzogen auch sie, weil in den Regalen nebenan nun endgültig kein Platz mehr ist. Ganz oben liegt Iris Hanikas Treffen sich zwei, das ziemlich gut ist und von der Liebe zwischen einer hysterischen Galerieassistentin und einem Systemberater, beide so etwas über vierzig, handelt, wie die Liebe bei beiden zeitgleich in einem Café in der Oranienstraße zuschlägt, schwierig wird, zwischendurch ein bißchen unmöglich erscheint, und dann ganz klein, leise und schüchtern doch weitergeht.

Auf der Seite des geschätzten Gefährten J. (auch er riecht wahnsinnig intensiv nach Ente) liegt ein weiterer David Foster Wallace, weil der J. gerade im David Foster Wallace-Rausch lebt, und diesen nur unterbricht, um eine Runde an seiner sogenannten xbox zu spielen, die demnächst voraussichtlich kaputt gehen wird, wenn nicht ein Wunder passiert, und der J. von selbst aufhört, diese unwürdige Freizeitbeschäftigung zu pflegen. Möglicherweise, aber damit habe ich nichts zu tun, wird demnächst kaltes, gelbes Entenfett in ihr Inneres gelangen, und dann ist sie hin. Hierbei wird es sich um Zufall handeln, da bin ich mir sicher, denn überhaupt alles hier ist mit Ente … nun, man möchte fast sagen: kontaminiert, und da kann so ein Suppenlöffel Entenfett schon einmal dorthin gelangen, wo man gar nicht mit seinem Auftauchen rechnet.

Die Ente selbst, deren Fettmoleküle die Wohnung gerade ganz und gar durchdringen, existiert indes schon seit so gegen acht nicht mehr, denn nach sieben Stunden Zubereitung

(30 Minuten bei 225°, sechs Stunden bei 80°, und dann nochmal 30 Minuten hochfeuern)

habe ich Brust und Keulen des Tiers auf vier Personen verteilt, die den Fleischteil der Ente nicht restlos, aber doch in den entscheidenden Teilen verzehrt haben, flankiert von Semmelknödeln, Rosenkohl, Rotkohl und einer Portweinreduktion. Dazu gab es einen Pfälzer Spätburgunder und vom Besuch mit Parmesan gefüllte und mit Schinken eingewickelte Datteln vorab.

Der nicht essbare Teil der Ente liegt nun im Abfalleimer. Ein nicht unwesentlicher Teil des Entenfetts dagegen hat sich (um es einmal ganz genau zu erläutern) erst bei zunehmender Erwärmung verflüssigt und ist dann in einen gasförmigen Zustand übergegangen, um sodann in Vorhängen, Bettwäsche, Kleidungsstücken und auf der eigenen Haut wieder zu erstarren: Viel von dem Entenfett durchflockt noch die Luft dieser Wohnung, sackt langsam ab und wird uns und alles, was in der Wohnung ist, in den nächsten Tagen mit einem dünnen, schmierigen Film aus Ente überziehen. Die Ente, so könnte man es vielleicht nennen, hat sich einerseits ausgedehnt, ist aber andererseits auch als Körper im Raum verschwunden.

Ziemlich lange nachdenken könnte man über dieses Verhältnis von Ausdehnung und Verschwinden, gewiss so lange wie David Foster Wallace über das Hummeressen und vor allem -zubereiten in Maine nachgesonnen hat, aber zum Glück neigen mittelalte, mitteldicke Damen mit Volants am Nachthemd nicht zum Nachdenken, zumal dann, wenn das Entenfett nicht nur den Gegenstand so einer potentiellen Überlegung darstellt, sondern ihr auch von innen wie von außen anhaftet, sich absetzend in den Poren ihrer Haut und tiefer vordringend in Hautschichten, in die nicht einmal die kosmetischen Labore gelangen, weil diese halt nicht sieben Stunden lag an etwas herumbrutzeln, und die Dame also nicht nur eine Ente zubereitet und eine Ente verzehrt hat, sondern vielmehr die Ente ist auf eine ganz gewisse Weise, und so wird die Dame, oh verehrter Leser, ihre fruchtlose Überlegungen über Enten nun beiseite legen und sich dem Nachleben des George-Kreises zuwenden und den Entenduft ignorieren, der auch diese Seiten streng durchweht.

(Und vielleicht hilft ja auch ausgedehntes Lüften)

10 Gedanken zu „Im Entenfett

  1. Auch im NIedersächsischen sitzt gerade eine etwas mehr als mittelalte, mehr als mitteldicke Dame und riecht dezent nach Entenfett. Wie auch der Rest der Familie. Das ist Weihnachten, und ein weitergehend schönes und erholsames wünsche ich auch Madame Modeste.

  2. Vor einiger Zeit las ich eine Ankündigung „Frauen-Catchen im Öl-Bottich“ oder so ähnlich.

    Nun, Entenfettgetränkte Körper ersparen den Bottich, eine mögliche Variante?

    Falls Herr J. ebenfalls so präpariert ist, könnte das Experiment ja starten. Auf einen Ergebnisbericht wartet nicht nur

    Blinkyman

  3. Gut, bekanntlich kenne ich mich in der Küche nicht so aus (nachher packte ich mir morgens auch noch Ente in den Schultornister!), aber sieben Stunden? Das hieße bei uns fünf Stunden über den Rasen jagen und fangen, eine Stunde Ausnehmen, Rupfen und Füllen, eine Stunde garen. Aber hier gab es eine Gans, die bereits in den letzten Bratzügen lag, ehe ich beherzt den Y-Pathologen-Schnitt über dem Brustbein ansetzte. Ich hoffe, Sie haben dazu ein wenig Entenwein genossen.

  4. REPLY:
    Ja, kein Schreibfehler: Es waren tatsächlich sieben Stunden. Ich wollte ausprobieren, ob die Niedrigtemperaturmethode auch bei Enten Erfolge zeitigt, und war selbst sehr angetan vom Ergebnis.

  5. REPLY:
    Zu schade, Herr Blinkyman, nun habe ich Ihre geschätzte Anregung leider erst zu spät gelesen. Das schöne Entenfett ist schon weg, und so muss ich bis zur nächsten Ente warten, um dieses reizende, um nicht zu sagen: verlockende Bild in die Realität umzusetzen.

    Ich werde berichten.

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