Tatsächlich hat das Alter keinerlei Vorteile: Wenn man 20 ist, kann man nächtelang feiern und sieht am nächsten Morgen aus wie neu geboren, aber versuchen Sie das mal zehn Jahre später. Was eine wirklich junge Frau verbricht, fällt fast samt und sonders unter gütig belächelte Jugendsünden, wohingegen Damen mittleren Alters für ihre Faux Pas auf keinerlei Nachsicht hoffen können. Dass die männliche Nachfrage, um auch dieses schwierige Kapitel anzusprechen, sich in erster Linie auf junge Damen richtet, bedarf wohl keiner weiteren Worte, und so nimmt es nicht wunder, dass die Welt um manche ältere Dame weiß, welche ihr Geburtsjahr mindestens verheimlicht, wenn nicht sogar verfälscht.
Doch auch das männliche Alter ist kein gemütlicher Zustand, und so ist auch nicht jede männliche Altersangabe zutreffend, und daher antwortete ein 2005 an und für sich noch recht junger Mann von ca. 32 auf die Frage anderer Rechtsreferendare im Bundestag (tatsächlich handelte es sich um zwei Damen), wie alt er denn sei, mit einem kräftigen „28“. Die beiden Fragenden selbst bekannten sich zu ihren damals 24 oder 25, und so war alles gut. Einträchtig, ja freundschaftlich sogar, arbeitete man im Jakob-Kaiser-Haus vor sich hin. Dann aber hatte der junge Mann – wir wollen ihnen der Einfachheit halber J. nennen – Geburtstag.
Zu seinem Geburtstag lud der junge Mann die beiden Kolleginnen ein. Außer den Kolleginnen waren auch die Freunde eingeladen, die der junge Mann sowieso schon hatte, und so saßen im Februar 2006 (draußen war es ziemlich kalt) ungefähr 15 Personen in seiner Wohnung am Helmholtzplatz herum. Es gab Bier, Bouletten und Salate, leise Musik, die den guten Geschmack des jungen Mannes bezeugte, und weil es zu wenig Sitzgelegenheiten gab, hockten die meisten Gäste auf dem Boden.
Zu den Freunden, die den jungen Mann schon mehrere Jahre umgaben, gehörte unter anderem auch die C., die – wie die meisten anderen Anwesenden auch – ebenfalls Juristin ist, ebenfalls Jahrgang 1973 und ebenfalls keine gebürtige Berlinerin. Die C. stammt, wie es sich für eine Prenzlbergerin gehört, aus des Landes Südwesten, und dort hat sie irgendwann in den Neunzigern auch studiert. Nach dem Studium aber hat die C. mehrere Jahre an einem Lehrstuhl als eine wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet und promoviert und während dieser Zeit auch Arbeitsgemeinschaften gegeben, im Staatsrecht nämlich, und zwar gegenüber den damaligen Studenten der Anfangssemester.
Unter diesen Studenten war auch eine der Mitreferendarinnen des J., und ob diese nun den Altersunterschied zwischen der sofort wiedererkannten C. und sich selbst sogar richtig einschätzte oder möglicherweise die Rollendistanz zwischen Lehrenden und Unterrichteten mehr als die vier Jahre suggerierte, die beide tatsächlich trennte: Als die C. in irgendeinem Zusammenhang bekanntgab, sie sei ja nur drei Monate jünger als der J., sah die Mitreferendarin erstaunt auf, sah erst nach rechts zur C., dann nach links zum J., und dann saß sie da, runzelte die (übrigens hübsche) Stirn und dachte nach. Weil die Mitreferendarin nicht die Hellste ist, wie man so sagt, dauerte dieser Prozess ein paar Minuten. Dann fragte sie den J. ganz direkt nach seinem Alter.
Der J. sah ein wenig unbehaglich um sich. Nun ist es nicht schön, bei einer kleinen Korrektur des Alters erwischt zu werden, das sicher, aber auf der anderen Seite ist es auch nicht lustig, von guten, alten und insbesondere gleich alten Freundinnen ausgelacht zu werden, und das voraussichtlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren mindestens alle paar Tage. Der J. atmete also dreimal tief durch, trank einen großen Schluck Bier und sagte die Wahrheit. Im Anschluss schwiegen alle Anwesenden kurz und betreten und feierten dann um so entschlossener weiter.
Ein paar Tage später trafen der J. und die C. wieder aufeinander. Die C. hatte die Geschichte in der Zwischenzeit laut lachend einer unwesentlichen Anzahl von Personen weitererzählt, der J. hatte die ganze Geschichte nach einer kurzen Scham- und Erholungsphase ebenfalls schon kolportiert, und so fiel der Teil des Gesprächs, der im Wesentlichen aus Vorwürfen bestanden hätte, relativ kurz aus: Der J. sagte irgendetwas wie „wie kannst du nur“, die C. sagte „wenn mich keiner vorwarnt“, und dann traf man ein Arrangement: Künftig würde die Bezifferung des Geburtstages im Vorfeld abgestimmt. Das Erstvorschlagsrecht hat jeweils an seinem Geburtstag der J.
Nach dem J. richten sich dann die C., die I., der M. und sein Bruder T., denn alle drei gehören demselben Jahrgang an. Die M. und der S. sind ein Jahr jünger und ziehen dieses Jahr folglich ab. Ich folge mit einem zweijährigem Abstand, weitere drei Jahre jünger ist die F.
Nun fühlt sich der J. nicht jedes Jahr ein Jahr älter. Manchmal altert der J. jahrelang nicht, dann gibt es auf einmal Sprünge, und so ist das Lebensalter der Menschen, die den J. umgeben, eine etwas erratische Angelegenheit, bisweilen selbst für die Beteiligten schwer nachzuvollziehen, ab und zu schert auch einer aus, dem die aktuelle Bezifferung aus persönlichen Gründen gerade nicht entspricht, und dann tut man gut daran, sich das alles zu merken.
Gegenwärtig bin ich, glaube ich, 31, aber das kann sich jederzeit ändern.
Himmel, wie kompliziert. Ich bin einfach 37 und damit gut.
Nein, nein, auf gar keinen Fall „gut damit“! Das beschriebene Arrangement – so wie Sie es beschreiben, werte Madame Modeste – erscheint nicht nur wunderbar durchdacht, es steht geradezu Modell. Die Loslösung von diesem äußerst lästigen und sehr oberflächlichen körperlichen Alter, die freundschaftliche Vereinigung in der Ablehnung ebenjenes… wunderbar. Man möchte direkt Teil sein und das eigene Alter noch konsequenter als bisher über Bord werfen und sich in den Stadien der Gesetztheit ebenso wie in der Leichtigkeit der Existenz, wie man sie nur in der Jugend kennt, fließend hin- und herbewegen können.
Organisation ist alles! Sehr gut gelöst.
Ich empfehle die wunderbaren Shows von Jack Benny, der jahrzehntelang auf seinem jugendlichen Alter von angeblich 39 Jahren bestand und beharrte und um diesen running gag geniale Sketche baute. Selbst meiner einer als gerade-nicht-mehr-Endvierziger kann darüber noch (oder schon wieder?) Tränen lachen…
Hihi. Als ich meinen Freund P. damals in London kennenlernte, war ich 18 und er 25. Im Laufe der Jahre schaffte er es tatsächlich, einige Jahre jünger als ich zu werden, jedenfalls hörte ich zehn Jahre später zu meiner Verblüffung, wie P. einen jungen Mann, der ihm wohl sehr gefiel, schamlos weismachte, er sei 24. Als ich ihn außer Hörweite jenes jungen Mannes dafür auf die Schippe nahm, wollte er sich damit herausreden, er hätte mich ja damals nur beeindrucken wollen und sich einfach älter gemacht – aber die Tour zog natürlich nicht. Seither behauptet er konsequent, sein tatsächliches Alter vergessen zu haben. Ebenso konsequent gratuliere ich ihm an seinem Ehrentag wahlweise zum 80., 90. oder 100. Geburtstag. Er freut sich trotzdem, denn ich bin eine der wenigen, die ihn an dem Tag anrufen.
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Das, sehr geehrter Herr Kid, kann ich nur begrüßen.
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Nun, Herr Energist, einer Teilnahme steht nichts entgegen. Gehen Sie von einer derzeit vierjährigen Abweichung aus, und orientieren auch Sie sich künftig an dem Herrn J., an dem sich ein Beispiel zu nehmen vielen jungen Herren zum Vorteil gereichen würde.
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Vielen Dank, eine charmante Entdeckung.
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„Vergessen“ ist gut. Ich werde mir das merken – außer, wenn es mir entfällt.
Ein Kollege wird nicht älter: er bleibt 45.
Das ist sein Jahrgang, aber das vergisst er zu sagen.
Mein Jahrgang ist ungeeignet.
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Abwarten, Frau croco, abwarten. 😉