Ich bin die Stewardess

Bei P&C war an sich alles noch ganz schön. Gut, berauschend sah das Kostüm schon im HUGO Store nicht aus, ein blaues Kostüm halt, Rock in A-Linie, schmal geschnittene Jacke, eine Hose gab es auch dazu, obenrum ein weißes Shirt. Das Kostüm ist langweilig und unglaublich asexuell, aber ich brauche langweilige Oberbekleidung, in denen man wie ein Mann aussieht, denn das gehört zu meinem Job. Ich also in die Kabine. Hose 36, Jacke 38, und dann aus der Kabine wieder raus. Das Kostüm passt.

„Wie sehe ich aus?“, rief ich über die Kleiderständer hinweg dem J. zu. Dieser wedelte zerstreut Zustimmung, einen Herrensommermantel in der Hand. Hingeschaut haben kann er nicht, denn dann hätte er sicherlich schon bei P&C gesehen, dass das Kostüm und ich miteinander verschmolzen zu dem leise lächerlichen Gesamtbild einer dicklichen Stewardess, die in den schlecht gelüfteten Kurzstreckenflugzeugen privater Luftfahrtunternehmen den spärlichen Passagieren mit leicht verrutschtem Lächeln lauwarme Getränkedosen reicht. Der J. aber sah gerade in just diesem Moment angewidert einem Herrn Lindner beim Telephonieren zu, Generalsekretär einer vom J. aus unterschiedlichen Gründen nicht sehr geschätzten Partei, und so drehte ich mich erst nach rechts und dann nach links, und dann fragte ich eine Angestellte des Hauses.

„Geht das?“, vergewisserte ich mich bei der Verkäuferin, die die Zähne bleckte und nickte. Ich bin mir sicher, in der Rückschau, dieser Frau war klar, was sie tat, in diesem Moment aber schenkte ich ihr Glauben: Ich kaufte das Kostüm, ich nahm die Anzughose dazu, eine Frau kam, die Hosenbeine zu kürzen, und dann fuhr ich heim.

Am Montagmorgen stieg ich in das Kostüm. Ein weißes Top, Perlen, ein dezenter Lippenstift, schwarze Pumps, und aus dem Spiegel in meinem Schlafzimmer lächelte mich eine schwarzhaarige Stewardess an, riss kurz die Augen auf, kniff sie zu, schüttelte den Kopf, lächelte nicht mehr, und schaute dann traurig zu Boden. Zum Umziehen war es zu spät. Ich fuhr ins Gericht.

Den ganzen Tag starrte ich in jeden Spiegel und jede Scheibe. „Wir möchten sie mit unseren Sicherheitsvorkehrungen vertraut machen.“, probierte ich unterschiedliche Ansagen leise aus. „Darf es noch etwas zu trinken sein?“, hörte sich eindeutig richtiger an als „Mein Mandant bestreitet den Vertragsschluss.“.

Auf dem Heimweg lächelte ein Passant vor dem Pappa e Ciccia mich freundlich an und murmelte irgendetwas, was ich nicht verstand. „Einen Tomatensaft mit Tabasco.“, reimte ich mir das Unverständliche zusammen und ging ein Stück schneller. Vor der Haustür dann traf ich eine Nachbarin. Sie sah mich aufmerksam an. „Hast du den Job gewechselt.“, übersetzte ich mir den Blick, flüchtete ins gnädige Halbdunkel meiner Wohnung und hängte das Kostüm ordentlich über einen Bügel.

Eine übergewichtige Stewardess in Unterwäsche schmierte sich ein Brot und ging schlafen.

21 Gedanken zu „Ich bin die Stewardess

  1. mit nem

    unterteil, das in gr.36 rein passt, kann es mit dem übergewicht (selbst für eine stewardess) noch nicht so schlimm sein.
    angesichts dieser erkenntnis sehe ich voran gegangene berichte über andere kleidungsfehlkäufe aber in einem sehr anderen licht.

  2. Meine liebe Melancholie Modeste, wenn ich Ihre Artikel so lese, drängt sich bei mir der Gedanke an eine Dame auf, die mind. Konfektionsgröße 42 trägt. Wenn ich Ihren letzten Artikel dann sehe, so muß ich das Bild vor meinem geistigen Auge korrigieren.

    Seien Sie nicht so streng mit sich!

  3. Nein, nein, das Dickliche kann auch bei Größe 36 stimmen – wir wissen doch alle, dass Madame Modeste in der Höhe 1,52 Meter misst.
    (Türkises Oberteil statt dessen? Oder froschgrün? Sie wollen das Kostüm doch wohl nicht kampflos aufgeben?)

  4. REPLY:
    Ich habe tatsächlich schon meinen halben Kleiderschrank hinzukomponiert. Etwas besser ist ein puderfarbenes Oberteil, ziemlich tief dekolletiert, im Berufsleben sicher ein Grenzfall. Auch nicht schlecht müsste ein Paillettentop aussehen, aber auch das für tagsüber vielleicht nicht bei jeder Gelegenheit optimal.

  5. Immerhin…

    … so mögen Sie sich trösten, verehrte Modeste, ist die Stewardess an und für sich ja durchaus so etwas wie ein Männertraum. Vor meinem geistigen Auge sieht diese Kombination gar nicht schlecht aus, auch wenn ich Ihre Bedenken natürlich voll und ganz verstehen kann.

    Dieser Effekt mit Kleidergröße 36 scheint mir eine Art Service der Modeindustrie zu sein: nachdem jahrelang predigte, daß 36 die absolut obere vertretbare Größe darstelle, wurde diese langsam fülliger, auf daß eine möglichst große Anzahl Frauen dem Effekt verfalle „Oh, dieses Kleid passt mir in 36 (= ich bin nicht dick), das andere nur in 38, ich nehme dieses hier“. Selbstverständlich halte ich Sie über derartig Manipulatives erhaben.

  6. was den dresscode betrifft, sind sie wirklich nicht zu beneiden um ihrem job. wenn es stimmt, dass sie nur 1,52 meter messen, ist vielleicht die a-linie nicht der richtige rockschnitt für sie?

  7. flugbegleiterin.

    (und wie kann man mit größe 36/38 über fett sein meckern? das erfordert schon eine basische melancholie, modeste!)

    p.s.: i do like your blog, but your selbstbild freaks me out.

  8. Gröhl. Ach wissen Sie, es geht schlimmer als mit Stewardessenfeeling im Gericht zu sitzen. In meiner Referendariatszeit brachte ich es fertig, morgens leicht verpeilt ein weisses Top zu schnappen, Hose, Jackett, später im Gericht fing ich irritierte Blicke auf (Strafrecht) ich konnte sie nicht zuordnen, auf der Toilette dann. Das weisse Shirt ziert ein Aufdruck quer über den Busen, don’t worry be happy. Wie gesagt, in der Verhandlung. Dann doch lieber „Darf es noch Tomatensaft sein?“ Kicher.

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