Berlin Zombie (2)

(Teil 1 hier)

Dem J. ist keine Reaktion zu entlocken. Stoisch fährt er am Funkturm vorbei, lässt das ICC links liegen und schlägt einen weiten Bogen um den S-Bahnhof Westend. Im Radio singt Belinda Carlisle, I get weak, und ich sehe im Vorüberfahren sehr klein und verloren zwei Männer auf die S-Bahn warten.

Natürlich, nehme ich den Faden wieder auf, habe keiner der Alkoholiker aus der dicken Margot ein Auto mit Navi. Die Zombies können ihn deswegen nichts anhaben, und außerdem gehen oder fahren Margots Stammgäste überall nur zusammen hin. Zombies aber sind bekanntlich feige, und so sitzen die Untoten zähnefletschend und machtlos im Unterholz, während die Säufer scheinbar ziellos durch den Forst spazieren. Hier findet einer den Haustürschlüssel des Verschwundenen, dort einer eine Packung L&M, und schließlich tritt ein Dicker mit Glatze und Jogginghose auf eine Hand.

Nicht abgerissen, abgebissen ist die Hand, ganz deutlich sieht man die Spuren der Zähne, und während sich der Dicke noch würgend ins dichte Gras übergibt, beginnt ein lauter Palaver über das wahrscheinliche Schicksal des Verschwundenen. Wilde Tiere werden verdächtigt, Außerirdische, Werwölfe, und schließlich schreit einer der Säufer auf: Zombies waren’s. Die Untoten im Unterholz ziehen verstört die entfleischten Köpfe ein.

Zurück im wärmenden Halbdunkel der Dicken Margot nehmen die Vermutungen Form an. Jeder weiß etwas über Untote zu sagen, die mediale Aufklärungsarbeit gerade bedeutender privater Fernsehsender hat in dieser Beziehung ganze Arbeit geleistet, und insbesondere die Leidenschaft für Horrorfilme der Wirtin Margot selbst trägt nun reiche Frucht.

Den J. aber interessieren die Zombies noch immer nicht die Bohne. Die Seestraße entlang durch den Wedding fährt der geschätzte Gefährte Richtung Heimat, an der hell erleuchteten Großbaustelle des BND vorbei, und als ich fortfahre, ist noch immer nicht auszumachen, ob er überhaupt zuhört. Im Radio singt nun Michael Hutchence.

Die Zombies, erläutere ich die untoten Gegenmaßnahmen, rüsten ihrerseits natürlich auch auf. Sie formieren sich zu knochigen Schwadronen, umzingeln des Nachts die Kneipe Zur dicken Margot und rücken Meter für Meter näher an das heruntergekommene Haus mit der gekachelten Fassade heran. Schon hat die erste der lebenden Leichen das Schild erreicht, auf dem Margot ein Bier und ein Korn für € 2,50 anpreist, schauerlich leuchten die faulenden Glieder im Dunkeln, und nur wegen Radio Paradiso in voller Lautstärke hören die Trinker im Innern die Zombies nicht laut mit den Zähnen klappern und lachen.

Im Innern aber erinnert sich die dicke Margot an ein wirksames Mittel. Es habe mit Hühnern zu tun, verkündet sie schallend, ein Huhn müsse den Zombies entgegengeschleudert werden, ein lebendes Huhn am besten, aber notfalls tue es auch bereits totes Geflügel. Schließlich weiß jedermann, dass die Toten nichts mehr fürchten als Hühner. Inzwischen hat die Nachricht vom Angriff der Zombies das Innere der Kneipe erreicht. Starr vor Angst sind nun einige der Säufer, andere nehmen einen vorsichtshalber besonders tiefen Schluck vom guten Kupferberg Gold, und die dicke Margot verschwindet ziemlich lange im Keller. Entsetzliche Geräusche dringen durch die offenen Klappe nach unten, es quietscht und knarrt, es jault und klappert im Schankram, Zombie um Zombie quillt durch die geborstene Tür, und erst, als der erste der Säufer – der Dicke mit der Glatze – von einem Zombie gebissen wird (der linke Daumen ist ab und das Blut spritzt), kehrt Margot aus dem Keller wieder. In beiden Händen hält sie je einen Broiler. Tiefgekühlt seit 1988.

Entsetzt halten die Zombies inne und weichen zurück. Die Säufer sammeln sich um die dicke Margot, die Broiler glänzen hell im Schein der fettverschmierten Lampe, und geschützt durch die Aura der Hühner wandern alle Gäste, gefolgt von Margot selbst, aus der Kneipe heraus. Nur die Zombies bleiben im Raum.

Für einen Moment ist alles still. Die Zombies sind perplex. Mit dieser Wendung haben sie nicht gerechnet, einen leichten Sieg hat man sich in untoten Kreisen ausgerechnet, da fliegt auf einmal ein brennder Lappen quer durch den Raum in das Regal über der Theke. „Iiiiihhh“, heult ein besonders hässlicher Zombie auf, aber schon splittert Glas, flaschenweise ergießt sich Doppelkorn über die Theke, fängt Feuer, und der erste Zombie steht in hellen Flammen.

Zombies kennen keine Solidarität. Kopflos rudert der Untote mit den brendenden Armen auf seinen Nachbarn zu. Der nächste Zombie brennt, dann noch einer, schließlich die ganze Versammlung, und von außen sehen die Gäste und Margot selbst das Haus in Flammen stehen. – „Dafür seid ihr mir was schuldig, Jungs.“, röhrt die dicke Margot.

Der J. biegt nun ein. Am Weinbergspark vorbei entlang der Zionskirchstraße wird der J. langsamer, schaut aus nach einem der stets raren Parkplätze, bugsiert schließlich in eine fast zu schmale Lücke und wirft die Tür des Wagens hinter sich zu.

Über dem Fernsehturm hängt scharf und schmal der Mond in den Himmel wie ein frisch geschliffenes Messer.

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