Journal :: 15.11.2010

Die B. ist jetzt blond. Ein bißchen fremd sitzt sie mir auf ein Glas Muskateller gegenüber, seltsam erwachsen mit dem halblangen, sorgfältig durchgestuften Schnitt und den glänzenden, manikürten Nägeln. Sogar ihr Lächeln wirkt erwachsener als noch vor einem halben Jahr, und ich frage mich, was in der Zwischenzeit geschehen sein muss, um so eine Rapidadoleszenz auszulösen. Äußere Anlässe, so teilt man mir mit, scheiden jedenfalls aus.

Auf dem Heimweg komme ich schrecklich unreif vor. Ich fühle mich meistens wie jemand, der seit 20 Jahren diffus pubertiert. Meine Stimmungsschwankungen würden jede Vierzehnjährige zieren, und wenn ich nicht jeden Morgen ins Büro gehen würde, würde ich immer noch leben wie eine Studentin im ersten Semester: Bis mittags schlafen. Nachmittags in der Uni Kaffee trinken, als würde die Nähe zu Bildungseinrichtungen den Ausbildungsprozess irgendwie von selbst befördern, abends mit Freunden Spaghetti kochen und irgendwann ziemlich spät ausgehen. Ich wäre auch ständig verliebt, wenn es den J. nicht gebe, der übermäßigem emotionalem Schlingern zum Glück entgegensteht. Zu meinem Glück verliebt sich auch keiner in mich und führt mich in Versuchung.

Ob auch ich noch einmal so erwachsen werde, frage ich mich und schließe mein Fahrrad an einen der Bügel vor dem Haus. Ob so ein Schalter in mir eigentlich existiert, der umgelegt werden kann, und dann wäre ich so fest verwurzelt in der gefügten und gedrechselten Welt erwachsener Leute mit Verantwortung, die das, wofür man sie bezahlt, auch wirklich sind und nicht nur darstellen, und ob es sich besser anfühlt, wenn man den Erwachsenen auf Augenhöhe begegnet und Dinge sagen kann, die mit Investitionsentscheidungen und Vorstandsvorlagen und Steuererleichterungen und derlei Dingen zu tun haben, und nicht in irgendeinem Gedankenwinkel laut zu prusten, weil das so komisch klingt.

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