Jeden Freitag morgen kommt ein Lieferdienst aus dem brandenburgischen Dorf Brodowin und stellt mir eine grüne Kiste mit Obst und Gemüse vor die Tür. Eier und Milch habe ich auch abonniert. Die Lieferung ist durchweg bio. Dieser Lieferdienst kostet 15 Euro pro Woche und ist fast ausnahmslos ganz, ganz großartig.
Es gehört zu den Prinzipien dieses in Berlin sehr populären Dienstes, dass man nicht weiß, was man bekommt. Der Kisteninhalt ist vorwiegend, aber nicht nur, aus der Gegend, man bekommt daher im Winter keine Erdbeeren, sondern ziemlich viel Kohl und Möhren. Im Sommer wird es dagegen bunt. Jede Woche, gleichgültig oder sommers oder winters ist ein Salat dabei, den esse ich manchmal am Freitag abend und meistens am Wochenende. Bisweilen ist der Salat dann schon schlaff, dann werfe ich ihn weg und ärgere mich ein bißchen.
Vorgestern morgen öffne ich also wie jeden Freitag die Tür, da steht die grüne Kiste, und auf der Kiste liegt ein Kopfsalat. Ich freue mich. Ich liebe Kopfsalat. Am liebsten esse ich Kopfsalat in einer riesigen Schüssel, übergossen mit einer Vinaigrette aus Weißweinessig und Olivenöl und Zwiebeln und Kapern und Senf und einem fein gewiegten, harten Ei. Meine Salate sind, anders als die Salate anderer Leute, nur so mäßig gesund, weil meine Dressings aus Prinzip fetter als ein Schweinebraten ausfallen, und außerdem mag ich Salat nur mit Fisch, Fleisch, Käse oder Eiern.
Außer dem Salat liegen auch ein paar Tomaten in der Kiste. Eine Schlangengurke gibt es auch. Ich denke an eine große Salatschüssel mit Parmesanspänen und Eierscheiben und stapele alles ordentlich in den Kühlschrank. An tödliche Durchfallerkrankungen denke ich gar nicht, weil ich Krankheiten meistens nicht so ernst nehme. Ich denke ja immer, dass die konsquente Risikovermeidung mehr Einbußen bedeutet als die vereinzelte Verwirklichung eines Risikos.
Am Freitag abend dann taucht der J. bei mir auf. Der J. war die ganze Woche beruflich unterwegs, er ist mächtig hungrig, öffnet den Kühlschrank und – ja, das ist keine Übertreibung – erstarrt. Der J. sieht dem Tod einige Sekunden in die offenen Augen. Dann schließt er den Kühlschrank wieder und ächzt erschüttert.
„Bist du wahnsinnig.“, schüttelt der J. ungläubig das Haupt und befiehlt, das todbringende Gemüse zu entsorgen. Ich weigere mich. Ich will den Salat, ich glaube nicht, dass ausgerechnet meine Brodowiner Gurke kontaminiert sein sollte, und dann beenden wir die Diskussion. Am nächsten Morgen fahren wir weg. Freunde heiraten in der Altmark, wir essen beide fürchterlich viel und fürchterlich gut, übernachten in einem extrem geschmacksneutralen Hotel, vollgestopft mit abstrusen Dekorationsobjekten, wie man sie in Möbelhäusern sehen kann, und dann fahren wir wieder heim.
Zu Hause stehe ich wieder vorm Kühlschrank. Dem J. kann ich mit einem großen Salat nicht kommen. Es gibt also einen Blumenkohl, Senfsauce, gekochte Eier und Kartoffeln, und mit ein bißchen Bedauern schaue ich die Tomaten und die Gurke an. Dann esse ich etwas und lese Zeitung.
Zeitungen sind in diesen Tagen ja fatal. Andauernd, lese ich, sterben Leute an Gurken, Salatesserinnen sind besonders gefährdet, und mein Plan, morgen abend salattechnisch in die Vollen zu gehen, wird auf einmal etwas zweifelhaft. Morgen ist der J. nicht da, da zetert keiner, wenn ich die Salatschüssel fülle, aber andererseits ist eine Schüssel Salat nun auch keinen plötzlichen Tod wert. Einfach so ins Bockshorn jagen lassen will ich mich dann aber auch wiederum nicht. Mein Gott, denke ich. Ich habe 15 Jahre geraucht. Was sollen mir amtliche Empfehlungen.
Am Ende verschiebe ich die Entscheidung auf morgen. Der Salat ist dann bestimmt hin. Was mit den Tomaten und Gurken ist, wird sich herausstellen. Wenn dieses Blog also ab morgen einfach versiegt … Es war schön mit Ihnen. Es hat mich sehr gefreut.
Habe am Wochenende Gurken und Tomaten gegessen wie üblich, die Gurke kam sogar zufällig aus Spanien. Mein persönlicher Risikoausgleich: Ich werde auch dieses Jahr kein Krankenhaus betreten. Selbst offiziell sterben jährlich 15.000 Menschen an multiresistenten Keimen, die sie sich dort geholt haben.
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Bravo! Dafür gewinnen Sie ein T-Shirt:
Ich habe mir gerade in Wien eine Ausstellung mit den Werken des Hans-Ruedi Giger angeschaut. Früher dachte ich immer im leicht überhormonisierten jugendlichen Geist, das Alien trage phallische Züge. Jetzt bin ich sicher, es ist eine Gurke.
Letztlich alles Banane, Frau Modeste, und selbst die will geschält sein!
Da haben Sie das Dilemma schön dargestellt. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mein Verhältnis zu Gurken noch mal so grundsätzlich neu bedenken muss (und vor allen Dingen, dass mein täglich Brot, die Tomate, auf ihrem Rot den Tod bringen könnte)
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Das will ich auch. Das sieht super aus.
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Die Gurken sind überall.
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Ach, rund um mich herum bricht gerade eine allgemeine Erdbeerpanik aus. Das mache ich aber nicht. Die esse ich und wenn es das letzte sein sollte …
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Das schmerzt mich auch. Ich esse fast täglich Tomaten.
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Jedes Kind weiß: Wir pfeifen auf den Gurkenkönig!