Gott ist, wie man weiß, gerecht. Humor hat er auch, denn er ist – auch dies ist bekannt – vollkommen, und in Erfüllung des göttlichen Gebots der Feindesliebe hat er, so nehme ich an, dem jüngst verstorbenen Atheisten Christopher Hitchens im Zwiegespräch vor seinem Throne einen letzten Wunsch erfüllt: Die Weihnachtspredigten müssen dieses Jahr ganz abscheulich verlaufen sein.
In einer Westberliner Kirche evangelischer Konfession etwa predigte die zuständige Pastorin eindringlich über den Schutz von Bruder Tier. Anwesende berichteten, die Gemeinde habe sich stimmungstechnisch etwas gedämpft unter den geißelnden Worten der Geistlichen geduckt und mit schlechtem Gewissen an die Gänse und Enten gedacht, die traditionell zu Weihnachten verzehrt werden. Besonders glücklich, so stelle ich mir das vor, ist man da nicht nach Hause gegangen, aber nun gut: Was erwartet man von einer evangelischen Pastorin. Der Protestantismus gilt schließlich nicht umsonst geradezu als ein Synonym für schlechtes Essen. Dass meine liebe C. in Ostberlin einem Weihnachtsgottesdienst der (ihr an sich fremden) ebenfalls protestantischen Konfession beiwohnen musste, bei der steifhüftige Berliner mit bunten Schals dezent schunkelnd Gospelgesänge feilboten, passt da natürlich ins Bild.
Doch auch die katholische Kirche blieb nicht verschont vom Humor des Herrn. So berichtete mir heute morgen ein Kollege, er habe in seiner niederbayerischen Heimat gleich zwei Messen beigewohnt, einer nämlich mit seinem Vater. Einer anderen dagegen mit seiner lieben Großmutter, die, mit ihrem ehemaligen Schwiegersohne im Streit zerfallen, getrennt besucht und zur Messe begleitet werden muss.
Die Messe in der Heiligen Nacht selbst fand in an sich gewohntem Rahmen statt. Auch den Pfarrer kennt mein Kollege seit vielen Jahren. Den Zorn und Eifer des geistlichen Herrn hatte er aber in den letzten Jahren im heidnischen Berlin irgendwie verdrängt, und so war er mehr als nur ein wenig peinlich berührt, als der Pfarrer (man schilderte ihn mir als ein kleines, rumpelstilzchenartiges Geschöpf mit krähender Stimme) begann, die Ungläubigen zu geißeln, die durch Lügen und Verleumdungen der Diener des Herrn die Nußschale des Glaubens zum Kentern bringen wollen. Insbesondere die überregionale Presse bekam in dem bayerischen Gotteshaus ihr Fett weg, denn diese habe die sogenannten Skandale, in die Rechtgläubige durch die Kinder des Teufels verwickelt worden seien, genießerisch ausgebreitet, wenn nicht sogar selbst erfunden. Besonders abgesehen hatte es der Pfarrer dabei auf die Süddeutsche Zeitung, die sich in diesen Kreisen keiner besonderen Beliebtheit zu erfreuen scheint.
Außer meinem Kollegen schien in dieser Kirche übrigens niemand die These von dem frei erfundenen geschlechtlichen Umgang katholischer Priester mit Kindern irgendwie anstößig zu finden, aber vermutlich gehen die Menschen, die ähnlich denken wie mein Kollege, schon seit geraumer Zeit dort einfach nicht mehr hin.
Immerhin gibt es Alternativen. So begab sich mein Kollege am Folgetage mit seiner über neunzigjährigen Großmutter in eine andere Kirche im Nachbardorf. Diese besucht die alte, schon etwas geistig wie körperlich hinfällige Dame seit Jahrzehnten. Neu allerdings war der Geistliche. Noch vor Jahresfrist war ein alter Priester vor Ort aktiv gewesen, der nun aber nicht mehr da war. Statt seiner stand ein junger Mann vor dem Altar, ein indischer junger Mann, genauer gesagt, und wirkte ebenso taufrisch wie seine Deutschkenntnisse. Es war nicht genau auszumachen, was er sprach, aber man konnte es sich ungefähr ausmalen. Schließlich gibt es Weihnachten nicht so viele Variationsmöglichkeiten, es sei denn, man spricht von Bruder Tier, aber zu verstehen war nahezu nichts.
Um so besser zu verstehen war die alte Dame. Wo denn der Pfarrer sei, fragte sie ihren Enkel. Warum nicht endlich der Priester komme, wurde sie ziemlich schnell ungehalten. Die Erklärungen, der Gottesdiener sei da und walte bereits seines Amtes, wischte sie vom Tisch. Der Mann vor dem Altar könne der Pfarrer nicht sein, erklärte sie ebenso laut wie apodiktisch, und mein Kollege hätte sehr geschwitzt, wenn er nicht sicher gewesen wäre, dass der indische Priester auch noch viel lautere Einwürfe nicht verstanden hätte.
Dass in der Freikirche, der die Eltern meines Bekannten L. angehören, zu Weihnachten barfuß getanzt werden musste, ist dagegen schon fast alltägliche Routine. L. tanzt seit Jahren nicht mit und kommt deswegen nach Ansicht seiner Familie vermutlich leider in die Hölle. Letztes Jahr war er stattdessen im Berghain tanzen, was die Sache wohl in den Augen seiner Familie nicht besser macht, auch wenn wir als sicher voraussetzen dürfen, dass Gott, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels, der Erde und der organisierten Religionsausübung in dieser Hinsicht fünf gerade sein lässt, denn der Herr ist großzügig im Umgang mit seinen fehlbaren Kindern.
Seltsam, denn sind evangelische Pastorinnen in diesen Dingen nicht sonst sehr aufmerksam? Diese spricht nur von Bruder Tier und schweigt von dessen Schwester. So erwartet man doch zumindest Bruder Schabrackentapir und Schwester Hyäne oder nicht? In jedem Fall ein sehr, sehr feiner Text.
REPLY:
Danke!
Wunderbarer Text! Werde ich bei der nächsten Diskussion über den neuen Dorfpfarrer meiner Mutter vorlegen. Besten Gruß, bomec
Einspruch, Euer Ehren: Sie schreiben „Was erwartet man von einer evangelischen Pastorin. Der Protestantismus gilt schließlich nicht umsonst geradezu als ein Synonym für schlechtes Essen.“ Das ist falsch und kränkt mich. Ich bin seit nunmehr einigen Jahren in Liäson mit einer protestantischen Pfarrerin. Und wenn sie kocht, dann kann ich mit Fug behaupten, ich habe nie vorher in meinem Leben an so gutem, ja hervorragendem Essen partizipieren dürfen! Nicht ohne Grund habe ich daher jener Pastorin in manch einem Bericht auch das Pseudonym „die Köchin“ zugewiesen. (Hingegen bei der Reflektion barfüssiger Gospelgesänge – preisend, getanzt… – sind wir uns wohl einig. Übrigens zusammen mit der Köchin.)