Nie – ich wiederhole: nie – habe ich mich so unsagbar gelangweilt wie gestern abend im Friedrichstadtpalast während der rund 60 Minuten, in denen ich Robert Pattinson bei dem in jeder Hinsicht misslungenen Versuch zugesehen habe, Guy de Maupassants Bel Ami darzustellen.
Mit einem Wort: Es ging nicht. Aber beginnen wir von vorn:
Sicher ist die Verfilmung des Bel Ami nicht leicht. Romane der Belle Epoque verführen – dem widersteht auch diese Verfilmung nicht – dazu, sich sehr in den Ausstattungen zu verlieren und zwischen Plüsch, Spiegeln, Spitzen, Silber und Orchideen zu vergessen, dass wir über Vorgänge in einer überaus komplexen Gesellschaft sprechen, deren Mitglieder ebenso nüchtern wie wir ihre Interessen verfolgten, gute Rechner, vital und ausgebuffter als wir Kinder eines gezähmten und saturierten Zeitalters, das das Frankreich des dritten Napoleon nicht war, diese Gesellschaft von Aufsteigern mit einem guten Appetit und ohne die Müdigkeiten, die erst eine Generation später die Kinder dieser Gründerzeit befallen werden wie eine seltene und erlesene Krankheit.
Diese Raffinesse zeigt die aktuelle Verfilmung uns nicht. Es geht in Maupassants Roman nicht um Sex, erst recht nicht um Liebe. Es geht um Politik als Vehikel von Gier und Ehrgeiz. Es geht um Intrigen, es geht um die Frage, wie weit die Skupellosigkeit uns trägt, wenn wir ganz nach oben wollen in einer überaus dynamischen Gesellschaft, die Maupassant uns entkleidet aller moralischen und religiösen Bindungen beschreibt. Es geht um Winkelzüge, es geht um sehr kluge und sehr kalte Leute, die miteinander und gegeneinander spielen, nicht viel anders als ein Jahrhundert vor ihnen die Aristokraten der Liaisons Dangereuses. In dieser Verfilmung sehen wir von der Kälte und der Bösartigkeit der Pariser Gesellschaft in Politik und Presse aber nichts. Wir sehen keine Reptilien. Wir sehen nur ein paar Frauen, die sich von einem Vorstadtbeau beeindrucken lassen und dabei zwangsläufig enttäuscht werden. So simpel sind Maupassants Geschöpfe aber nicht. Der Film erzählt eine andere, eine einfachere und weniger interessante Geschichte als der Roman.
Das Drehbuch wird auch den Dialogen des Romans nicht gerecht. Alles, was die Protagonisten sagen, hat bei Maupassant einen doppelten Boden, denn jeder (und eben nicht nur Georges Duroy) instrumentalisiert und betrügt hier alle anderen, Liebhaber und Gatten ebenso wie Freunde, Freundinnen und Geschäftspartner. Dies aber sehen wir nicht, wir empfangen nicht einmal Andeutungen. Wir sollen dem Drehbuch die Wendungen glauben, die die Geschichte nimmt, aber nichts in dem, was wir sehen, motiviert das Wechselspiel der Personen untereinander.
Absurd auch und nicht zuletzt ist Besetzung. Robert Pattinson soll derzeit ein Star vorwiegend der minderjährigen Mädchen sein. Ich kenne keinen anderen Film, in dem er eine tragende Rolle spielt. Für den Bel Ami aber fehlt ihm alles, was diese gar nicht so komplizierte, aber eben nicht alltägliche Person auszeichnet: Pattinson fehlt der infame Charme, das Ruchlose an Duroy. Keinen Moment glaubt man diesem etwas simpel wirkenden Mann die Skrupellosigkeit, sich über Glück und Gefühl der Frauen auf seinem Weg gedankenlos hinwegzusetzen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen wie innerlichen Urteil und insbesondere – hier aber wird es wirklich prekär – die Kraft für eine schmutzige Karriere, das Tierhafte, die guten Zähne und den guten Schlaf.
Ungefähr alle 20 Minuten zieht Pattinson sich aus. Die kleinen Mädchen wird das voraussichtlich freuen, die großen Mädchen und erst recht wohl die großen Jungs lassen diese Szenen vermutlich eher etwas ratlos zurück, denn für die Handlung sind sie nicht erforderlich, und für ein optisches Vergnügen reicht Pattinsons erotische Ausstrahlung schlicht nicht aus. Es hat sich mir keinen Moment lang erschlossen, warum eine erwachsene Frau – und sowohl Madeleine Forestier (Uma Thurman) als auch Mme de Marelle (Christina Ricci) und Mme Walters (Kristin Scott Thomas) sind erwachsene Frauen – sich auf Pattinson einlassen sollte. An Charisma, Optik und Charme kann es jedenfalls nicht liegen, zumal Pattinson als einziges Mittel der Verführung einen langen, direkten Blick einsetzt, der vermutlich nicht einmal dann zum Erfolg führen dürfte, wenn das Gegenüber deutlich schlichter wäre als alle weiblichen Hauptpersonen. Dass einige der anderen Schauspieler die Kunst der Darstellung fremder Leute wirklich beherrrschen macht es übrigens nicht besser, sondern stellt die Schwächen der Verfilmung eher noch deutlicher aus.
Am Ende bin ich also gegangen. Das Kino war voll. Neben mir saßen ein paar sehr junge Mädchen. Im Foyer tranken ein paar Leute Bier und lachten laut und fettig über irgendetwas, das ich nicht verstanden habe, und im Taxi nach Hause (es war noch nicht einmal eins) fielen mir die Augen kurz zu. Die Berlinale ist vorbei.
Bel Ami
UK, Italien, Frankreich 2012
Das klingt in der Tat ausnehmend scheußlich und unerfreulich noch dazu.
REPLY:
Es war grässlich. Normalerweise schaue ich mir nahezu alles bis zum Ende an, aber es war zu quälend.