Oktober, 8

Seit neulich in der Zeitung stand, dass die Berliner Schulen nicht in der Lage sind, Kindern genauso gut Lesen und Schreiben beizubringen wie woanders, bin ich dann doch ein bißchen besorgt. Nicht, dass ich es auf eine herausragende Schulkarriere des F. anlege. Tatsächlich ist mir seine Abinote komplett egal. Ich möchte aber vermeiden, dass er mit 18 weder weiß, wann die Kreuzzüge stattgefunden haben und warum, und auch nicht recht zu sagen weiß, was Klassik und Romantik unterscheidet. Vielleicht kann man es ungefähr so ausdrücken: Noten sind mir schnurz. Bildung nicht, und ich fürchte, dass das Berliner Schulssystem dieser Bedarfslage weniger entspricht, als ich es möchte.

Auf der anderen Seite will ich auch keine Privatschule, die den Leistungsgedanken mehr betont, als ich es angemessen und elegant finde. Ich denke bis heute, dass Bildung etwas Unangestrengtes haben sollte. Zudem stelle ich mir unter Bildung etwas vor, was sich nicht in Geld und Positionen niederschlagen soll, sondern vielleicht eher so in der Fähigkeit, vernünftig zu kommunizieren, ohne sein Gegenüber – beispielsweise seine Mutter – zu langweilen. Oder in der Oper sofort zu wissen, woran einen das Bühnenbild erinnert, und wieso dieser Bezug nun partout nicht passt. Solcherart, fürchte ich, ist es aber nicht, was man in Berliner Privatschulen erlernt. Die wollen doch entweder Tanztherapeuten oder Investmentbanker erziehen. Es mag sein, dass die etwas besser abgehangenen kirchlichen Institute noch derlei vermitteln, aber dazu müsste der F. erst einmal Christ werden, und für die damit verbundenen Zeremonien sind der J. und ich zu atheistisch und zudem zu faul.

Außer der Sorge um den Bildungsgrad des F. treiben mich gerade eher wenig Sorgen um. Von mir aus mag die Inflation kommen. Ich habe gerade kein Geld. Ich mag die dilletantischen Versuche des Gesetzgebers, das deutsche Gemeinwesen zu organisieren, und noch viel mehr schätze ich den europäischen Gesetzgeber für seine Querschläge, denen ich schon viele amüsante Stunden verdanke. Ich könnte etwas abnehmen, aber nach wie vor schmeckt mir das Essen zu gut, um wirklich weniger zu nehmen, und so liege ich um halb zwölf recht zufrieden im Bett, lese ein paar Seiten im neuen Krausser und bin zufrieden mit der Welt und dem laufenden Jahr: Verweile doch. Du bist so unterhaltsam.

3 Gedanken zu „Oktober, 8

  1. Könnte er nicht auch ein angenehmer, gebildeter Schreiner werden? (Ich gestehe, dass Abitur als gesetzte Prämisse mich bereits erschreckt und sofort an all die gequälten Gymnasiasten erinnert, die nur mit massiver Unterstützung ihrer Akademikereltern durchs Gymnasium kommen, notfalls mit Rechtsmitteln.)

    In meinem Bekannten- und Freundeskreis gibt es angenehm, gebildet und abiturlos:
    – eine Musikalienhändlerin
    – eine Erzieherin
    – einen Schriftsteller
    Das geht also.

  2. REPLY:

    Da haben Sie mich erwischt. Ich habe tatsächlich noch nie daran gedacht, dass der F. kei Abi machen könnte, nicht, weil ich es so wichtig finde, sondern weil das schlicht außerhalb meines Vorstellungshorizonts liegt, ganz offenbar. Aber von mir as, auch das.

  3. Bekannte von uns (Prenzlberger Künstlermilieu) haben vor lauter Horror vor dem Berliner Schulsystem ihre Tochter bei einer waldorfpädagogischen Kleinstschule in Selbstverwaltung angemeldet. Ich will mir da aus der Ferne kein Urteil erlauben, die musische Erziehung (auf die es den Eltern besonders ankommt) ist sicher exzeptionell, beim Lesen und Schreiben lernen hinkt man indes dem Berliner Standard noch hinterher…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken