Es brummt. Es brummt erst rechts. Dann links. Dann irgendwo an der Decke. Dick und schwarz, lang wie ein Fingernagel schwankt die Fliege langsam und träge durch den Raum. „Husch!“, sage ich und wedele mit der Hand zum offenen Fenster.
Die Fliege aber verschwindet nicht. Vielleicht friert auch sie in diesem unverhofft wiederkehrenden März zu sehr. Vielleicht riechen die Äpfel auf meinem Tisch auch so gut. Vielleicht hat sie sich aber auch einfach verirrt, und nun kommt sie nicht wieder ins Freie. Es brummt also immer noch. Langsam, ganz langsam, wird das Brummen lauter, lästig, dann ärgerlich, schließlich unerträglich, wie mir scheint, und schließlich greife ich zu einem Buch. Verwaltungsprozessrecht. Schon sitzt die Fliege todgeweiht vor mir auf dem Schreibtisch.
Noch ahnt das Insekt nichts. Ruhig reibt sie zwei Beine aneinander. Ich rücke näher. Ob sie mich sieht? Aber würde sie dann nicht flüchten? Ob die Fliege Angst bekäme, wenn sie mich sähe? Alles Leben, weiß ich, strebt doch nach Erhalt. Ob die Fliege Schmerzen haben wird, wenn das Buch sie trifft? Und dann – kurz bevor die Hand sich hebt und das Buch sich senkt – schießt ein ganz und gar blödsinniger, ganz und gar naiver Gedanke durch meinen Kopf. Seine Mutter, denkt es in mir, wird traurig sein, wenn er nicht heimkommt, und sofort lache ich mich aus für diese Idee.
Dann aber nehme ich das Buch, ein Glas und schiebe die Fliege vorsichtig über die Tischkante und lasse sie fliegen, hoch über Berlin.
Hätte ich wohl auch so gemacht. Vor ein paar Jahren ist mal eine Fliege mit einer besonderen Ausstrahlung in unserer Küche umher geflogen. Sohn und ich haben sie begrüßt „hallo Fliege, was machst Du denn hier?“ Und P. meinte „vielleicht ist das Dein Vater, wie hat er denn den weiten Weg hierher gefunden?“
Hätte sein können, ich habe mich jedenfalls gefreut, ihn mal wieder zu sehen und ihm seinen Enkel vorzustellen. Die beiden sind sich in seinem vorigen Leben leider nie begegnet…
Interessanter Gedanke, dass eine dicke, große, erwachsene Fliege noch bei seiner Mutter wohnen könnte, ja überhaupt noch eine lebendige (!) Mutter hätte.
Man darf gar nicht darüber nachdenken, man wird verrückt.
P.S.
obwohl vom „Verwaltungsprozessrecht“ erschlagen zu werden, schon auch Klasse gehabt hätte. Ein würdiger Tod. Ich würde an Stelle der Fliege allerdings darauf bestehen, dass die Exekution in standesgemäßer Robe und in Anwesenheit der Zeugen der Anklage ausgeführt wird.