„Na, dann komm.“, sage ich und mache dem F. Platz auf dem grauen Sofa. Erwartungsvoll sitzt er da, zeigt auf den Rechner und dann klatscht er ein paarmal in die Hände. „Bilk! Mehr Bilk!“, schreit er. Bilk bedeutet Musik.
Jeden Abend, wenn es ruhiger wird und dunkel, sitzen wir auf dem Sofa. Jeden Abend gibt es Musik zum Hören, denn nachmittags ist es zu laut und zu hell. Nachmittags wird laut gesungen und getanzt. Der F. trötet dann in seine Kinderklarinette, haut auf seinem Xylophon herum oder drischt auf die Klaviertasten, dass alle guten Geister der Musik verängstigt auf die Schränke flüchten. Abends aber lasse ich für den F. den Vogelfänger von der irdischen Liebe singen und erzähle ihm von Prinzen, Prüfungen und Königinnen. Von wunderschönen Heldinnen, denen es leider am Ende manchmal nicht so gut ergeht. Ich lasse die Schwarzkopf vom Mai singen und die Callas die Carmen. Ich lasse keinen Kracher aus, denn wer noch nichts kennt, der kann noch nichts über haben, keinen Überdruss kennen am allzu schönen Klang und noch keine Sehnsucht nach dem Anderen, das der Kenntnis des Einen ja noch bedarf.
Noch scheitere ich mit Parsifal. Noch wendet sich der F. ab von meinen Verklärten Nächten und lässt mich allein auf dem Sofa immer neue Aufnahmen finden, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt und dass sie tatsächlich, wahrhaft nur einen Klick entfernt auf uns warten. Meist aber sitzt der F. glücklich auf meinem Schoß, wiegt sich, klatscht, streckt die Hände gen Himmel, wo, wie man weiß, die Engel am allerschönsten singen und lacht manchmal laut und selig auf, wenn die Musik so schön wird, dass wir alle lachen würden, wenn wir nicht so dumm wären, uns in unserer dreißigjährigen Abgeklärtheit zu suhlen.
Ganze Mottoabende finden statt auf dem grauen Sofa. Das Ännchen von Tharau wird besungen, und Hoch auf dem Gelben Wagen reitet der F. auf der Sofalehne und wiehert sehr eindrucksvoll halbwegs im Takt. Es wird ein Wein sein, schunkelt er hin und her, vom Tauben vergiften versteht er zum Glück nicht den Text und verlassen wird er hoffentlich nie.
Ein paar Lieder kann er bestimmt bald mitsingen. Manche Stücke wird er vermutlich niemals spielen. Zumindest nicht fehlerfrei. Manche Geschichten erzähle ich ihm gleich. Andere wird er später erfahren, und einige Geschichten sind so traurig, dass ich wünschte, sie blieben ihm erspart. Erzählen aber werde ich ihm die Geschichten, die ihn ganz besonders angehen. Vom Großvater des Großvaters, der – so berichtet der J. – ein Komponist war und vom König einen Flügel geschenkt bekommen hat. Vom Urgroßonkel P., der als Eurythmiker auf dem 70. Geburtstag des Urgroßvaters einen Tanz mit Gesang über das Alter aufführte, bei dem er live on stage einen Hexenschuss erlitt. Über den Urgroßonkel, der irgendwann kurz nach dem ersten Weltkrieg als falscher Zigeuner auf Volksfesten aufgespielt hat, bis ein echter Zigeuner ihn enttarnte.
So freue ich mich schon auf die erste Zauberflöte und den ersten Ring in ein paar Jahren, und das zweite Kinderkonzert in vier Wochen in der Komischen Oper. Tanz mit mir, fasse ich den F. an beide Hände, wirbele ihn herum, freue mich über Singen und Glucksen und haue gemeinsam mit ihn in die Tasten.
Sei glücklich, sage ich ihm, wann immer die Geigen klingen, und eine Heimat inmitten von Tönen und Klängen sollst du behalten, solange du lebst.
N´oubliez pas Humperdinck. Der direkteste Weg zum Parsifal führt über Hänsel und Gretel, zumindest für die U10-Fraktion 😉
Tatsächlich gefällt mir Hänsel und Gretel ja gar nicht so recht. Aber vielleicht sieht der F. das ja anders.
Ich empfehle den Abendsegen mit Pantomime als Einstieg. Ich kann es auch als Mittvierzigerin immer wieder hören, allerdings natürlich im richtigen Mischungsverhältnis mit Parsifal und Co. 😉 Aber der Zugang ist ähnlich bei beiden Komponisten (über en Bauch, nicht über den Kopf). Viele Grüße, CL
Cosima hat Recht auf ganzer Linie
schön.
Wunderschön und rührend.
Unglaublch schön ! Ich weiß jetzt, was ich mit dem Enkelkind machen werde, wenn es dereinst bei mir ist.
Danke, zusammen. Es ist wirklich schön. Und lustig. Und manchmal sehr rührend und immer überraschend.
ach herrjeh, ach herrjeh,
ich habe Ihren Eintrag im Büro gelesen und mir als Link geschickt. Und nun höre ich mich seit einer Stunde durch und sage danke. Das ist so ähm.. inspirierend. Mir ist sehr wohl. Ich schreibe mit acryl-verschmierten fingern weil ich eine raucherpause einlege und Ihren Blogeintrag würdigen möchte. Tolle Mutter.