Das christliche Altertum kannte ja die aus heutiger Sicht relativ originelle Institution des Säulenheiligen. Das waren also fromme Männer, die eines Tages auf hohe Säulen stiegen, um dort bei Wind und Wetter auf dem Kapitell herumzusitzen. Irgendetwas Gottgefälliges – außer vielleicht Beten – taten die Styliten eigentlich nicht, aber Gott, der Gewaltige, freute sich offenbar so heftig über die frommen Männer auf den Säulen, dass sich immer wieder einer fand, dem Allmächtigen diese kleine Freude zu bereiten.
Gegenwärtig ist der Stylit sozusagen ausgestorben. Oder das Beten auf Säulen ist so wenig öffentlichkeitswirksam, dass zwar irgendwo noch Männer auf Säulen beten, sich das aber nicht bis zu mir herumspricht. In der Zeitung steht jedenfalls nichts davon, und – seien Sie versichert – wenn es anders wäre, wüsste ich davon. Ich tue nämlich derzeit wenig mehr als Zeitung zu lesen und zu arbeiten. Ich trage meine verdammte Schiene am Knie nämlich noch bis Ende November, und so sitze ich also auf diesem Sofa und lese im Internet nach, was die frommen Männer heutiger Tage so alles anrichten. Ich muss sagen, ich wäre froh, säßen sie einfach so auf Säulen, ohne anderen Leuten mit Flamme und Schwert zu nahe zu rücken und den ganzen Nahen Osten durcheinander zu bringen.
Generell wächst mein Respekt vor diesen Säulenheiligen von Tag zu Tag. Das Wetter ist ja gar nicht das Schlimmste. Die meisten dieser Leute waren irgendwo im Süden ansässig. da war es nicht so kalt. Von Berliner Säulenheiligen hatte die Kirchengeschichte jedenfalls nie etwas zu vermelden. Aber die Bewegungslosigkeit …! Man muss wahrhaft gottesfürchtig sein, um sich nicht so entsetzlich zu mopsen, dass man nach drei bis vier Stunden einfach wieder absteigt. Wenn man das kann. Und keine Schiene am Bein hat.
Was am Säulenheiligen allerdings den lieben Gott dermaßen begeistert hat, dass seine Anhänger die Gottesfreude dieses schier übergroße Opfer wert war, hat sich mir nicht erschlossen. Konnten die denn nicht anderswo beten? Oder ging es dem lieben Gott gar nicht ums Gebet? War es vielleicht nur die Unbequemlichkeit? So ein Behagen am Opferwillen, also die Freude, so sehr verehrt zu werden, dass der Verehrende auch sehr unbequeme, unerfreuliche Erlebnisse auf sich nimmt? Oder so ein generelles Amüsement an skurrilen Aktionen in der Öffentlichkeit? Aber kann man bei einer solch eigennützigen Freude wirklich noch von einem lieben Gott sprechen? Oder ist der Gott der Säulenheiligen möglicherweise – horribile dictu – gar nicht so besonders lieb und freundlich, und erfreut sich heute in Ermangelung der ausgestorbenen Säulenheiligen vielmehr an den kleinen, harmlosen Kalamitäten des Lebens anderswo. Verpassten Bussen, fluchenden Passanten, Leuten, die auf Bananenschalen ausrutschen und – tja – bewegungslosen Frauen auf Sofas.
falls noch zeit zum lesen ist auf dem sofa, ist „from the holy mountain“ von william dalrymple ein sehr kurzweiliges buch über säulen- und andere heilige und über das frühe christentum. es beschreibt eine reise entlang alter klöster im mittleren osten in einer zeit, als es dort noch nicht brannte.
ansonsten wünsche ich, dass die zeit schnell fliegen möge.
Stimmt, mit der Weltmeisterschaft im Pfahlsitzen ist es auch schon mehr als zehn Jahre vorbei.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pfahlsitzen#Weltmeisterschaft_im_Pfahlsitzen
Ab und an gibt es das Pfahlsitzen heute noch, so eher als Gag gedacht, ohne Beten und so. Aber das tröstet ja nicht wirklich.
Wenigstens ist Versorgung vorhanden, trotz all dem Unangenhemen.
Gute Besserung!
P.S. Da Sie gerade eh so viel Zeit haben: Ein Hinweis, welche HTML-Tags hier erlaubt sind, wäre schön und nützlich. Als ich eben versuchte, den obigen Link mit den üblichen HTML-Tags zu setzen, bekam ich beim Speichern wieder diese doofe Fehlermeldung und der Kommentar ließ sich nicht abschicken.
ende november? das ist ja gruselig. aber du hast inzwischen eine, die nicht mehr ganz so starr ist, ja? es wird doch langsam besser, hoffentlich.