Freitag, 14. August

Die Zahnärztin macht es spannend. Um fünf nach zwei öffnet sie die Tür, heißt mich den Mund zu öffnen, haut mir ohne weitere Fragen zwei Spritzen ins Zahnfleisch und verschwindet dann wieder ohne weitere Worte. Verdutzt sitze ich auf dem Zahnarztstuhl und schaue an die Decke. Langsam wird meine rechte Wange taub. Dann mein Kinn, zuletzt die Brauen.

Bewegungslos starre ich an die Decke. Es ist heiß in der Zahnarztpraxis, sehr heiß sogar, um die 30 C, und ich spüre, wie sich mein Gesicht mit einem glänzenden Schweißfilm überzieht. Ich muss, überlege ich mir, gerade ziemlich lächerlich aussehen, wie ich da so liege: Füllige Frau in mittleren Jahren mit leicht verzerrtem Gesicht und total verschwitzt.

Die Ärztin, wie ich feststelle, ist sehr jung und beherrscht die Kunst, überhaupt nicht zu schwitzen. „Öffnen sie den Mund.“, sagt sie merkwürdig leblos, und ich überlege kurz, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei ihr um eine Androidin haltet. Zu teuer, verwerfe ich den Gedanken, und dann öffne ich folgsam den Kiefer und konzentriere ich mich auf einen leicht gelblich verfärbten Punkt an der ansonsten makellosen Decke. Wenn ich gern irgendwo wäre, wo ich nicht bin, schalte ich in meinem Kopf Musik an, und so singt auch jetzt Richard Tauber auf einem schneeweißen Podest in meinem Großhirn Auszüge aus Gräfin Mariza, denn wenn Tauber ganz allein für mich singt, ist mir egal, was andere Leute denken. Heute also: Light Classic. Operetten bis zum Abwinken, und zwischendurch das Ave Maria.

Als es kracht, komme ich wieder zu mir. Richard Tauber bleibt wie angewurzelt stehen, das Licht geht aus, die Fassaden bröckeln, und für einen Moment werde ich panisch. Das ist nur der Anfang, schießt es mir durch den Kopf. Erst kracht der Zahn, dann kracht der Kiefer, dann zerspringt mir die Schädelschale, während der Android emsig weiter an dem hohlen Zahn arbeitet.

„Sie können jetzt ausspülen.“, unterbricht die Zahnärztin meine Visionen und legt mir die Hand auf die Schulter. Nächste Woche Fäden ziehen, 24 Stunden kühlen, kein Alkohol und Schonung, und dann torkele ich aus der Praxis, lasse mich nach Hause bringen und schließe auf meinem Bett die Augen. Richard Tauber singt und singt, bis der J. nach Hause kommt und den F. mitbringt.

Nein, sage ich. Alles okay.

 

4 Gedanken zu „Freitag, 14. August

  1. Oh jeohje. Ich trüge Sie ja so gerne zu meiner definitiv un-androiden Zahnärztin, die die liebevollste Art professioneller Sachlichkeit beherrscht. Aber gerade Zahnmedizin sollte man am Wohnort verfügbar haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken