Nach Hause.

Am Ende kommt der Regisseur Emil Nägeli nicht mit dem Film nach Deutschland zurück, den zu drehen ihn der japanische Offizier Masahiko Amakasu, vermittelt durch den Direktor der UfA, Alfred Hugenberg, angeheuert hat. Nägeli hat keinen Stummfilm gedreht, der die gemeinsamen Ideale der faschistischen Diktaturen Deutschland und Japan verherrlichen würde. Die Idee einer Achse aus Zelluloid, einer gemeinsamen Filmkultur in Abgrenzung zur großen Illusionskunst Hollywoods ist schon im Ansatz gescheitert. Der Hans im Glück, als dessen zerquälten, zarten Bruder wir Nägeli kennenlernen, wird das viele Geld der Japaner Etappe für Etappe für etwas anderes eintauschen, um ganz am Ende mit fast leeren Händen heimzukommen, zumindest, wenn man die Maßstäbe des Auftraggebers anlegt.

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Nägeli ist schon vor seiner Reise von Berlin nach Japan kein deutscher Monumentalfilmer, damit durchaus dritte Wahl der Japaner, sondern ein sensibler Schweizer, angegriffen durch den kürzlichen Tod des durchaus ambivalent gezeichneten Vaters, abgestoßen durch das barbarisch scheppernde Berlin der Dreißiger Jahre, in dem die Filmkritiker Kracauer und Eisner am letzten Tag vor der Flucht nach Paris als einzige Menschen unter alptraumhaften Fratzen ihm die Idee eines ganz anderen Films einpflanzen. Doch auch dieser Film wird nicht gedreht werden. Hans im Glück wird auch diese Idee, den Coup der Emigranten, nicht als Film nach Hause bringen, denn kaum in Japan angekommen, bemerkt er, dass seine Verlobte Ida von Uexküll ihn mit Masahiko Amakasu betrügt, und filmt den Betrug durch ein Loch in der Wand.

Dieser Betrug wird zur Urszene des Films, den Nägeli am Ende einem erfreut-verständnislosen Zürcher Publikum vorführen wird, Ausgangspunkt einer zusammenhanglosen Zusammenstellung von Bildern von Fischern, Gegenständen, Bergen, eines Raums mit europäischen Gemälden und Erinnerungsstücken am äußersten Rande Asiens, die Nägeli auf einer langen Reise zu Fuß, per Schiff und per Zug zusammengefilmt haben wird. Es ist eine Reise nach Hause, auch eine Reise mit sozusagen glücklichem Ausgang, an deren Ende nicht das kalte Wasser des Zürichsees oder die Maden eines chinesischen Lagers warten, sondern eine Professur und eine bürgerliche, quasi Eichendorffsche Behaglichkeit, eine gewisse Selbstverzwergung inbegriffen.

Doch ein Eichendorffscher Taugenichts ist Nägeli nicht. In Nägeli glänzt nicht die anima candida der Romantik, er ist durch Kindheitstraumata und Lieblosigkeit aus dem Paradies vertrieben, und so verflucht er Ida und Amakasu, die dann – wie Fluch und Erzähler es wollen – einen elenden und grotesken Tod finden. Auf den letzten Seiten des Romans fällt  Ida vom großen H des Hollywoodschriftzugs in die Kakteen. Amakasu, dieser dunkle Doppelgänger Nägelis, ertrinkt im Meer.

Überhaupt wird viel gestorben in diesem Roman, dessen erzählerischer Boden fortwährend zu schwanken scheint. Die unruhigen Zeiten übertragen sich auf die Protagonisten, die – Eisner und Krakauer ausgenommen – ebenfalls halb wie Schlafende, halb wie böse, dämonenhafte Puppen durch die Handlung wanken. Eingeschlossen in diese Schale aus Untergängen aber erzählt Kracht seine Geschichte vom unreinen Tor, den er mit einer Heimkehr beschenkt wie noch keinen seiner Reisenden zuvor.

Christian Kracht, Die Toten, 2016

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