Kleine Selbstbefragung zu Weihnachten

Dann sitzen Sie also so da, circa vier bis fünf Kinder toben durch die Wohnung, die Gastgeberin verteilt Tee und Kekse, und irgendwann kommt die Rede auf Geschenke, also Spielzeug, und die Mütter und Väter zählen auf, was der Weihnachtsmann (wir sind im heidnischen und deswegen christkindlosen Berlin) nächste Woche den guten Kindern alles bringt. Ein Schminkkopf wird genannt. Eine Kinderkaffeemaschine. Ganz viel Lego. Viel Playmobil. Eine Babypuppe. Auf einmal fällt Ihnen auf, dass das Mädchenspielzeug fast ausnahmslos für das Nachspielen privater Situationen bestimmt ist. Wie das Puppenhaus. Oder der Ministaubsauger. Das Spielzeug für die Jungen bildet dagegen berufliche Situationen ab. Die Feuerwehr, die Müllabfuhr. Sogar der Superheld rettet ja sozusagen beruflich. Zuhause schauen Sie sich den Legokatalog an, den der F. kürzlich mit nach Hause gebracht hat. Tatsächlich sieht man in den Spielwelten für kleine Jungen Männchen, die arbeiten. Sie sind Zugführer oder galaktischer Soldat. Und Frauenfiguren, die als Fee, Prinzessin oder einfach als Hausfrau in bisweilen palastartigen Wohnhäusern leben. Müssen Kinder nicht annehmen, das sei so richtig? Und am Ende wäscht er nur auf Aufforderung ab. Und sie arbeitet ab Kind 1 nur noch halbtags?

(Bildet das Spielzeug für den F. eigentlich gleichermaßen private wie berufliche Situationen ab?)

Etwas später spricht man über Geschlechtsstereotypen. Superhelden und Anna und Elsa werden genannt. Überraschung: Die meisten Anwesenden sind davon überzeugt, dass sie total geschlechtsneutral erziehen. Nur die lieben Kleinen – Schulten werden gezuckt – sortieren sich leider exakt anhand der Rosa-hellblau-Grenze. Anschließend an diese Äußerung sagt dann irgendeine Mutter, die nette K., dass sie als Kind auch ihre Barbiepuppen heiß geliebt habe, und ersichtlich geschadet habe ihr das ja nun nicht.

Ich sehe die K. an. Sie ist Anfang 40, glaube ich, hat irgendwann mal etwas mit Design im Namen studiert und in den letzten Jahren als freie Mitarbeiterin ihrer früheren Firma einzelnen Projekten zugearbeitet. Ich glaube, sie verdient damit so um die 15.000 Euro im Jahr. Ob die frühere Firma sie später wieder nimmt, wenn die beiden Kinder größer sind? Ihr Mann ist jedenfalls beruflich so viel unterwegs, dass er nur selten mal abholt und ganz bestimmt nicht derjenige ist, der mit den Kindern Plätzchen backt, bastelt oder Blockflöte übt. Die Mädchen in ihrem Umkreis lernen also aus der Beobachtung der K. und vieler anderer Frauen, dass Frauen Kinder abholen, Perlenarmbänder auffädeln und zum Kinderarzt gehen. Männer arbeiten in Büros, weil ihre Jobs wichtiger als Perlenarmbänder sind.image

(Erlebt der F. eigentlich die Arbeitsteilung zwischen dem J. und mir auch beim Kochen, Basteln, Kinderarzt als halbwegs hälftig?)

Die K. erzählt mir, dass der kleine B. die Kita verlassen hat. Seine Eltern haben sich im Sommer 2015 getrennt. Die Mutter des B. hatte zuletzt einen Dawanda-Shop mit Patchworkkissen und -kuscheltieren betrieben, aber damit kaum das Material verdient. Weil sie bei ihrer früheren Agentur nie fest angestellt war, konnte sie in diesen Job nicht mehr zurück. Sie hat sich dann fast ein Jahr beworben und schließlich in Düsseldorf etwas gefunden. Es ist wieder eine Werbeagentur, aber an ihren früheren beruflichen Status hat sie nicht wieder anknüpfen können. Sie ist nun Assistenz, das gehe auch besser mit den Kindern. Die betreut nun hauptsächlich ihre Mutter. Alle zwei Wochen lässt der Vater die Kinder einfliegen, dann geht alles, was im Alltag der Kinder nun finanziell nicht mehr möglich ist.

Alle am Tisch bedauern die arme Mutter des B. Niemand stellt ihre Entscheidung in Frage, jahrelang auf selbstgenähte Kissen zu setzen. Alle tun so, als sei quasi jede Tätigkeit gleich zu bewerten, egal, ob man damit genug verdient für ein komfortables Leben. Sicherlich hat das auch etwas damit zu tun, dass man einer Frau am Boden nicht auch noch Vorwürfe machen soll. Aber es gibt einen unsinnigen Glaubenssatz unter Frauen, dass Geld nicht wichtig sei, nichts, über das sich zu sprechen lohne. Das rächt sich oft schon innerhalb einer Beziehung, weil es die Kräfteverhältnisse zuungunsten der Frau verschiebt. Richtig dicke kommt es aber nach einer Scheidung, wenn aus Mittelschichtmüttern plötzlich Alleinerziehende mit Hartz IV werden, weil entgegen einer offenbar immer noch weit verbreiteten Ansicht Frauen mit Kindern über drei keinen Betreuungsunterhalt mehr bekommen und des Kindesunterhalt (wenn er denn fließt) nicht reicht.

(Reden wir mit dem F. überhaupt über Geld?)

Auf dem Heimweg bin ich mit mir so mittelmäßig zufrieden. Unsere Verteilung von Aufgaben ist ungefähr paritätisch. Das Spielzeug des F. ist aber insgesamt schon eher typisches Jungenspielzeug. Viel Playmobil, viel Lego. Männchen, die arbeiten und eher keine Blumenfeste feiern. Schön wäre es, seine Männchen würden ebenso Feuer löschen wie Rosen pflücken. Beim Basteln und Kochen gibt es eine kleine quantitative Differenz, ungefähr 70 : 30. Bei der Erziehung rund um Geld, Wirtschaft und Wirtschaften stehen wir noch ziemlich am Anfang.

4 Gedanken zu „Kleine Selbstbefragung zu Weihnachten

  1. Sehr geehrte Madame Modeste, meiner Überzeugung und Erfahrung nach ist es quasi unmöglich, Kindern Werte bewusst anzuerziehen. Stattdessen übernehmen sie diese von ihrem Umfeld – d.h. in den ersten Jahren im Wesentlichen von den eigenen Eltern. Schauen Sie sich ihr Kind genau an. Wenn Sie etwas finden, was Ihnen nicht gefällt, denken Sie darüber nach, was an Ihrem eigenen Verhalten (oder dem Ihres Partners) sich darin spiegelt und versuchen Sie, es bei sich selbst zu ändern. Wenn Sie nichts finden, dann ändern Sie auch nichts! Insbesondere dann nicht, wenn Sie mit sich und der Aufteilung der Familienarbeit mit Ihrem Mann zufrieden sind! Wenn Sie das nämlich hinbekommen haben, dann vermitteln Sie allein dadurch Ihrem Kind alles Wesentliche im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter.

    Ob Ihr Kind sich dann für Bauarbeiter oder Rosenpflücker begeistert, darauf kommt es mMn nicht mehr an. Wichtiger, als Ihrem Kind eine wie auch immer geartete Vorstellung von genderunabhängigen Tätigkeitsbereichen aufzunötigen, wäre, Ihrem Kind zu vermitteln, dass es die Freiheit hat, zu tun, was immer ihn wirklich interessiert.

  2. Nachtrag, Wissenslückenfrage: hat jemand Zugriff auf eine valide Studie, die klärt wie lange so Prägeeffekte wirken? Oder wieviel Exposition es braucht oder welche Bedingungen es braucht, damit so Prägung durch Beispiel verankert wird? Das ist für mich nämlich die groesste Black Box: natürlich ahne ich im Rückblick, was mich selbst so alles beeinflusst hat (immer mit der Gefahr der nachträglichen Interpretationen und Manipulation der eigenen Erinnerungen), aber grade deswegen erscheint mit diese These „Mädchen spielt mit rosa und wird Hausfrau“ genauso fragwürdig wie die „Junge spielt Feuerwehrmann und wird Macho“ (ueberspitzt formuliert). Jemand ernsthaft repräsentative Erkenntnisse dazu? (Vorwarnung: wenn ich sage ernsthaft, dann meine ich u.a. reproduzierbare Ergebnisse + ernsthaft statistischer Nachweis von kausalen Ursache-Wirkungszusammenhängen, nicht nur von beschreibender Statistik oder „ich hab mal eben 100 Leute befragt und die haben alle geknickt, als ich meine These aufgestellt hab“. Ich hab zu viel Mythbusters geschaut, um sowas noch ernsthaft als Argument durchgehen zu lassen :p

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