Patrick zum Beispiel. Patrick und Frank. In den Neunzigern trugen Sie Chiemseepullover. Sie waren sportlich und groß, sie wirkten selbst ungeduscht sauberer als andere Leute, sie fuhren den Golf ihrer Mutter und klebten Kenwood-Aufkleber auf die Heckscheibe und sie waren ausnahmslos dumm und laut, aber nicht selten ganz gutmütig dabei.
Nach dem Abi, als Sie weggezogen sind aus der Kleinstadt, in der Sie aufgewachsen sind, haben Sie Patrick und Frank so ein bisschen aus den Augen verloren. In Kreisen, die irgendwas mit Kunst, Wissenschaft oder Medien zu tun haben, treiben sich die Patricks und Franks auch nicht so herum, aber ab und zu kommen Sie irgendwo in eine Bar oder stehen auf einem beruflichen Termin herum, und dann sehen Sie ihn. Also nicht ihn. Sondern nur irgendeinen Patrick oder Frank, der natürlich auch Torsten oder Dennis heißen kann, aber aus irgendeinem Grunde keinesfalls Alban oder Carl. Es ist natürlich auch nicht jeder Patrick und Frank ein solcher.
Er aber, wenn es ein echter Patrick oder Frank ist, hat sich auch gar nicht verändert, und weil Sie 13 Jahre mit ihm zur Schule gegangen sind, wissen Sie auch, wie mit umzugehen ist. Am besten – aber das ist meine ganz private Meinung – gehen Sie sich schnell was zu Trinken holen und überlassen Patrick und Frank sich selbst.
Natürlich erkennt man nicht jeden so leicht wie Patrick und Frank. Weniger schlichte Geschöpfe tarnen sich besser und bilden mehr Eigenheiten aus, die den Blick auf ihr wahres Wesen verschleiern. Der Professor etwa braucht nichts mit dem Lehrbetrieb zu tun zu haben, und längst nicht jeder Professor des universitären Lehrbetriebs ist auch ein Professor in diesem sehr speziellen Sinne, und auch wenn aus irgendwelchen Gründen 90% der Professoren evangelisch sind, gibt es ihn auch in katholisch. Er muss noch nicht einmal besonders gern dozieren, auffällig ist aber die Ausbildung irgendeines monomanisch verfolgten Sonderinteresses, der fehlende Sinn für gutes Essen und der Umstand, dass der Professor aus irgendeinem obskuren Grund am Körper – am Kopf lustigerweise nicht – zottig behaart ist wie Gott ihn schuf. Ich habe nie verstanden, wieso ausgerechnet vom an sich so reizenden Professor als letztem Mensch der westlichen Welt lange Körperhaare herunterhängen wie von einem Affen, aber ich schwöre, dass weder mir noch meinen lieben Freundinnen jemals ein ordentlich gestutztes Exemplar untergekommen ist.
Ein Klassiker ist natürlich der Schlag Mann, der im Kreise meiner lieben Freundinnen „Kramer“ heißt, nach der bekannten Seriengestalt aus Seinfeld, und einen etwas hektischen Herrn bezeichnet, der nicht ganz zurechnungsfähig ist, leider, aber ansonsten ein netter Kerl. Einem geheimen Naturgesetz zufolge taucht Kramer immer nur nach mindestens zwei ernsthaften Liaisons am Stück auf, dauert nie länger als sechs Wochen und wird deswegen in Listen jedweder Art nicht mitgezählt.
„Hemingway“ und „Gott“ sind eigentlich selbsterklärend. „Schorsch“ bezeichnet allerdings nur unter sehr wenigen mir gut bekannten Damen wegen eines besonders markanten Exemplars einen cholerischen, aber intelligenten und eindeutig zu kleinen Alkoholiker mit schlechten Zähnen.
Ähnlichkeit in körperlicher oder auch verhaltensbezogener Weise ist jedoch ganz und gar nicht nötig. Der Oberbegriff bezeichnet vielmehr meistens eher so eine innere Verwandtschaft, die mal enger oder mal entfernter sein kann, also durchaus mehr Wesen als Erscheinung, und so wäre mancher Herr sehr entsetzt über seine Verwandten. Ich beispielsweise kenne einen vordergründig sehr seriösen Herrn, von dem ich ohne erkennbaren Anlass einfach weiß, dass es sich um einen „Flo“ handelt, also um einen etwas leichtgewichtigen, sehr vergesslichen Menschen, der fürchterlich angibt und dazu neigt, Ausreden zu erfinden, statt sich seinen Fehlern und Versäumnissen zu stellen, aber das wäre garantiert das letzte, was ich ihm erzählen würde. Möglicherweise ist er ja auch gar nicht so, sondern seine Flohaftigkeit besteht mehr so rezessiv. Und erst kürzlich fiel mir nach sozusagen monatelanger Bekanntschaft auf, dass ich auch einen anderen Herrn bereits kenne, aus einer früheren Verkörperung nämlich, und auch dieser fände jenen vermutlich schrecklich, eitel, übermäßig erwerbsinteressiert, grauenhaft intrigant, dazu untenrum, wie man so sagt, mit eher etwas ungewöhnlichen Vorlieben ausgestattet, und würde angesichts dessen ganz übersehen, dass es sich bei seiner früheren Inkarnation um einen der amüsantesten und unberechenbarsten Menschen handelt, die jemals an den Kneipentischen der Republik herumzupolemisieren pflegten. Schöne Augen hatte er auch.
Bei Frauen, vermute ich, existieren solche inneren Verwandtschaften sicherlich genauso. Allerdings sind Frauen oft äußerlich durchaus angepasster an ihre Umgebung, ich etwa habe eines Tages gegen Ende meines Teenageralters einfach beschlossen, meine verhältnismäßig ausgeprägte Nerdhaftigkeit zwar einerseits zu meinem persönlichen Vergnügen zu kultivieren, andererseits mit einem gewissen Maß an bekleidungstechnischer Eleganz zu tarnen. Das haut zwar nur so halbwegs hin, macht meine Identifikation aber natürlich erheblich schwieriger, und weil es mit anderen Frauen ebenso zu gehen pflegt, erkennt man uns schon eher selten.
Interessant, aber mir völlig fremd und unzugänglich. Es scheint so zu sein, dass in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen, Klassen, Gruppierungen unterschiedliche Typen auch unterschiedlich benannt werden. Dann spielen wahrscheinlich auch die Regionen in Deutschland eine Rolle, im Norden würde ein „Schorsch“ wahrscheinlich eher „Otto“ genannt werden.
In unseren Kreisen gibt es den „Lauch“ und den „Hans“, bei deren Namensfindung auch unsere türkischen Mitbürger ein Wörtchen mitgeredet haben, die „Trutsche“ und die „Else“ und noch einige mehr.
Den „Nerd“ kennen wir natürlich auch.
In meinem Freundeskreis heißen Typen oft nach ihrem ersten bei uns aufgetauchten Vertreter.
Diese Liste macht mich mal wieder sehr froh, dass ich relativ wenig Zeit damit verbracht habe, Frösche zu küssen.
Frank und Patrick zu küssen ist natürlich völlig abwegig, auch Schorsch hat sich im Leben einer Freundin nicht bewährt, aber mit dem Professor in allen seinen Verkörperungen führen mehrere nette Menschen vergnügte Ehen, und sogar Gott ist in einer mir bekannten Familie der zufriedene Vater von vier Kindern