Man reiche mir eine Axt. Es ist Sonntagmorgen, sieben Uhr, und dank des Weckers des J. sitze ich hellwach im Bett und mahle aggressiv mit den Zähnen. Draußen wird es gerade halbwegs hell, der J. gähnt wahnsinnig laut und schlurft, ebenfalls wahnsinnig laut, Richtung Bad. Zu alledem bin ich selbst schuld: Um nicht alle Sonntage meiner näheren Zukunft von elf bis fünf allein mit Kind zu verbringen, habe ich selbst dem J. vorgeschlagen, seiner Leidenschaft für den Golfsport künftig sehr früh morgens nachzugehen und mittags wieder zu erscheinen. Das geht natürlich nur mit Wecker. Beschweren darf ich mich also nicht. Statt dessen ertränke ich meinen unausgeschlafenen Frust in einer Tasse Tee.
Tee könnte ich wieder kaufen, fällt mir ein, und google nach Tees, die ich noch nicht kenne und kaufen könnte.
Als Teetrinker J.2 am Nachmittag auftaucht, komme ich gerade aus dem Museum. Der F. liebt das Deutsche Historische Museum und war geschätzt zehnmal dort und kennt jedes einzelne Exponat. Dank seiner Museumsbesuche hat er sich ein etwas unkindliches Spezialwissen zugelegt, über das ich mich einerseits freue, andererseits fürchte ich mich etwas vor den Reaktionen künftiger Mitschüler, die gute Sportler vermutlich höher schätzen als umfassende Kenntnisse über den Verlauf der Befreiungskriege.
Der inzwischen wieder aufgetauchte J. sitzt in der Bibliothek schätzungsweise vorm Computer und beschäftigt sich mit seinen vollständig digital erfassten Fortschritten im Golfsport. Vielleicht weicht er aber auch nur den aus seiner Sicht langweiligsten Gesprächen ever aus, die der J.2 und ich über sehr, sehr fachliche Themen am Küchentisch führen, während unsere Kinder in maximaler Lautstärke durch die Wohnung toben. Immerhin riecht es überall gut nach Waffeln.
Als die Frau des J.2 irgendwann bei uns erscheint, brechen wir auf in den Park. Nur der J. bleibt zuhause. Es ist dunkel, die Bäume recken ihre Zweige wie schwarze, zerbrechliche Blitze in den Himmel, und die Kinder jagen einander den Bunkerberg hoch. Wir sprechen immer noch über Posten und Politik, Gesetze und Gerüchte, und nun ist es die Frau des J.2, die sich zurückfallen lässt, um nicht auf der Stelle vor Langeweile zu sterben.
Die Kinder sind inzwischen am Ausrasten. Der Jüngste isst nur Süßkartoffeln, die Großen nur Fleisch. Das eine Kind will nur Wasser ohne Kohlensäure, das andere ausschließlich mit, und als zumindest die beiden Großen unter ohrenbetäubendem Geheul in F.’s Zimmer verschwinden, schauen wir uns alle vier dankbar an.
Als der J.2 mit Familie verschwindet, wird es still. Ich friere das restliche Fleisch ein. Der J. macht die Küche. Dann ist es spät. Der Sonntag ist vorbei.
„Bei dir ist es immer schön.“, steht auf meinem Handy.
Was den Golfsport betrifft, erinnere ich mich an eine Dokumentation, die mich als Kind begeisterte. Verehrt wurde ein Junge, wie er im 19. Jahrhundert einen Strand entlang marschierte und dabei Golfschläge übte, und viel später dann ein berühmtes Meisterturnier gewann. Damals war ich selbst noch am Sonntag in der Frühe unterwegs, um teilzunehmen an den Qualifikationskämpfen für die Hamburger Jugendmeisterschaft im Schach. “Chariots of Fire“ der Soundtrack meines Heranwachsens. Umso mehr entsetzen mich die “alten Herren”, im Schach wie auch beim Golf: wie wenig Menschen sich stören am Fehlen jeglicher Perspektive! Alle wissen, dass sie auch in zwanzig Jahren noch vorm örtlichen Supermarkt Dosen kicken werden, und freuen sich darauf! Allerdings, werden die “alten Herren” dann irgendwann beim Dosenkicken unterstützt von Sauerstoffgeräten und Rollatoren, klatscht mitunter die ganze Fernsehnation stehend Beifall für solch Musterbeispiele gelebten Lebens. Vielleicht ist der J. also eines Tages im Privatfernsehen zu Gast: die 25 bewegendsten Sportmomente! Wie er sich als Berlins ältester Bürger mit langem weißen Bart im Sonnenaufgang einen Golfhügel emporkämpft. “1492: Conquest of Paradise” der Soundtrack dazu.