Ich sage nur: Neunzig. Neunzig Minuten. Ich kann nicht einmal einen einstündigen Podcast am Stück hören, ohne mehrfach zu unterbrechen, gleichzeitig abzuwaschen, mir eine Haarkur in die Haare zu schmieren, unruhig durch die Wohnung zu tigern, und mir eine vernünftige Software für die Transkribierung zu wünschen. Dabei höre ich natürlich sowieso nur Podcasts über Themen und von Leuten, die mich richtig interessieren. Oder sehr lange Bücher. Konnte ich früher sehr gut, aber heute schaue ich alle hundert Seiten mal nach, ob das Internet noch steht. Dabei interessiert mich alles, was in dem Buch steht, total, sonst hätte ich das Buch ja gar nicht gekauft.
Bei Büchern und Podcasts erwartet aber immerhin niemand gebannte Aufmerksamkeit. Aber haben Sie schon mal an einem öffentlichen Ort, an dem Leute Fußball gucken, alle paar Minuten in ihr Handy geschaut? Und wenn ja: Wieso verwenden eigentlich nur so wenige Leute bei Twitter Hashtags, die man muten kann? Ich erwarte doch auch nicht, dass sich jeder fürs Bachmannlesen interessiert, wieso gilt man schon als Nerd, wenn es einem von Herzen egal ist, ob Deutschland, Togo oder Luxemburg Fußballweltmeister wird? Und warum gibt es eigentlich derzeit keinerlei gesellschaftliches Event, bei dem es keinen Fußball gibt? Wobei: Wenn Leute nicht über Fußball sprechen, sprechen sie über Politik, da muss man auch schrecklich aufpassen, wo man hingerät, Langeweile ist ja immer noch besser als Ärger.
Nun schwimme ich eigentlich nicht so gern gegen den Strom. Es gibt Leute, die haben ein oppositionelles Temperament, die fühlen sich immer nur wohl, wenn sie etwas anderes meinen als jeder sonst. Das trifft auf mich überhaupt nicht zu. Ich mag ziemlich viele Leute nicht, weil ich die laut oder stumpf oder bösartig finde. Oder weil sie schlecht riechen. Aber generell falle ich nicht gern so total aus dem Rahmen. Um so unangenehmer, wenn der Rahmen auf einmal wochenlang nur so fußballförmig daherkommt. Gestern zum Beispiel war ich Fußballgucken zu viert, es gab Bier in einem Biergarten, alle waren total gespannt, Niedergeschlagenheit, Jubel, in der Luft hingen dichte Schwaden von Emotion, und ich starte abwechselnd auf die Blätter (was für Bäume sind das?), die Fenster (das entspricht nicht dem aktuellen Effizienzstandard!) und bedauerte, dass ich mich nicht mit mehr Bratwurst ablenken konnte, weil ich schon gegessen hatte.
Heute morgen habe ich gelesen, die Deutschen würden vielleicht schon wieder Weltmeister. Ich kann das nicht gutheißen. Die nächsten Wochen soll das immer so weitergehen? Will mich denn niemand einladen und es gibt keinen Fußball? Spricht hier eigentlich noch jemand weder Fußball noch über Politik? Ich bin auch mit Partypatriotismus durch, ich denke bei deutschen Fahnen inzwischen nicht mehr tanzende Fans, sondern an Pegida. Ich will mich nicht so fürchterlich konzentrieren müssen, damit niemand merkt, dass ich nicht richtig zuhöre. Oh mein Gott: Ich wünschte, ich würde mich für Fußball interessieren.
„Luxemburg Fußballweltmeister“
*bricht unter schallendem Lachen zusammen, rutscht vom Bürostuhl und wischt sich die Lachtränen aus dem Gesicht*
Ich finde den Gedanken sehr charmant. Das wäre doch mal was.
Ich habe bei der EM 2004 auf Griechenland getippt, aus dem Bauch heraus und aus Sympathie für die Griechen. Das Gelächter habe ich noch im Ohr.
Am Ende hat dann keiner mehr gelacht, ausser den Griechen und mir natürlich.
Man soll ja niemals nie sagen…
Halbfinale, btw…
Ach, mei, wenn das die Deutschen relaxt und ihnen gute Laune zaubert, nur zu. Gerne auch mit Fahnen jeder Art, das bringt Farbtupfer.
Fußball interessiert mich im Übrigen nicht die Bohne und als Österreicherin kann ich mich entspannt zurücklehnen – wir spielen da ja eh fast nie mit. 🙂
Maximilian Buddenbohm hat this article auf buddenbohm-und-soehne.de erwähnt.
Thema durch, Gott sei Dank!
Seehofer schiebt die Schuld bestimmt auf Merkel
Sie können aufatmen. Vielleicht. Ich kann das nicht so richtig beurteilen, in meinem Umfeld wird eher wenig über Fussball gesprochen. Nerds halt. Dafür wurde mir aufgetragen meiner Frau zu gratulieren (sie kam vor langer Zeit aus Korea). Das habe ich wiederum nicht verstanden. Sie hat gar nicht mitgespielt. Noch nicht mal geguckt hat sie. Sondern tief und fest geschlafen.