Die Tagung gefällt mir. Ich treffe in Hamburg ein paar alte und neue Bekannte, ich spreche mit meinem Kollegen, der morgen in Urlaub fährt, noch ein paar letzte Angelegenheiten durch und telefoniere nebenher mit allen möglichen Leuten, diktiere ins Telefon und verschicke E-Mails, buche Zeiten in eine App, auch übers Telefon, reserviere einen Flug über eine andere, speichere Unterlagen zu Akten und hinterlege schnell eine Idee in einer Plattform, bevor ich sie wieder vergesse. Die Zeitungen schreiben so oft, dass Leute sich vor der Digitalisierung fürchten, aber ich könnte weder mein Leben noch meinen Beruf so führen, gäbe es die Digitalisierung nicht, die mich fast unabhängig von Orten und anderen Leuten macht. Noch vor zehn Jahren war all das völlig unmöglich.
Apropos andere Leute: Auch auf dieser Tagung bin ich die älteste Frau. Wie oft im akademischen Rahmen gibt es ein paar Studentinnen, ein paar Doktorandinnen, und dann gibt es richtige Erwachsene, und die sind alle männlich. Ernsthafte Männer, so ungefähr in meinem Alter, mit Stirnglatzen, die Anzüge anhaben und über ernsthafte Dinge sprechen.
Wo, frage ich mich, sind eigentlich die anderen Frauen um die 40? Ging denen nach der Promotion die Puste aus? Sitzen sie irgendwo am Sandkasten? Haben sie irgendwann das Handtuch der Anwaltschaft geworfen und sind Richterinnen geworden? Vermisst die eigentlich keiner außer mir? Wieso wird die Frage, wie viele Frauen irgendwo sprechen, nur in meiner Internetblase diskutiert, aber in meinem echten Berufsleben spielt das gar keine Rolle? Frauen um die vierzig, ich vermisse Euch!
Nach der Tagung treffe ich die Herren Kid37 und Merlix. Wir lesen uns ungefähr hundert Jahre, der Abend schwappt in großer Gemütlichkeit hin und her, ich esse Fisch und trinke Weißwein, und als ich meinen Zug verpasse, nehme ich mir unkompliziert und schnell ein Zimmer in der Nähe des Bahnhofs (oh, gesegnete Digitalisierung!).
Kanzlerin Merkel vermisst sie: Ihr scheint das Fehlen von Frauen in letzter Zeit häufig aufzufallen – und sie sagt das dann auch noch laut.
https://www.sueddeutsche.de/politik/merkel-in-israel-und-wie-viel-prozent-der-professoren-sind-frauen-1.4157222
Das fand ich sehr gut und sehr richtig. Ich vermisse die anderen Frauen auch, nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen, sondern auch atmosphärisch
Wenn Frau Merkel auf Frauen solchen Wert legen würde, wäre sie nicht fast nur von Männern umgeben… aber das nur am Rande…
In der Tat gibt es bei den Juristen wenige Frauen in gesteigerten Positionen. Ich bin selbst eine von ihnen, in der akademischen Welt. Warum ist das so? Hier ein paar Ideen:
– Frauen mögen oft nicht die mit Aufstieg verbundenen „Machtspiele“. Man kann endlos darüber diskutieren, ob sie sich vermännlichen müssten etc. – aber zunächst einmal sind das die Spielregeln.
– Eng damit verbunden: Frauen haben oftmals keinen Sensus dafür, dass nicht nur die besseren sachlichen/fachlichen Argumente entscheiden, sondern oftmals auch strategische Implikationen eine Rolle spielen. Sie verbeissen sich auf der Sachebene und merken nicht, dass sie am Thema vorbei „argumentieren“.
– Solange Frauen immer noch der Meinung sind, der Mann müsse gesellschaftlich/statusmäßig über ihnen stehen (was statistisch gesehen der Fall ist), wird das nix.
– Solange Männer immer noch die Frauen heiraten (nicht: bewundern!), die für sie unkompliziert und mühelos sind, ändert sich nix.
– Solange wir Universitätssysteme haben, in denen Frauen typischerweise die Gemeinschaftsaufgaben übernehmen und zudem immer noch („wir brauchen ja eine Frau“) überproportional in Gremien sitzen (müssen)…
– Die Anforderungen an Frauen bleiben weiterhin nicht gleich mit denjenigen an Männer: Eine gut verhandelnde Frau ist eine „Zicke“, ein gut verhandelnder Mann „respektgebietend“. Und das sind Urteile, die auch im Alltag fallen. Da fängt es m.E. an – weder gestehen wir Frauen und Männern zu, dass sie Unterschiede haben noch verlangen wir ernsthaft, dass Gleiches auch gleich behandelt wird – und zwar im gesellschaftlichen Bereich. Der Vater mit Kindern, der Elternzeit nimmt, wird dafür gelobt, die Frau muss sich anhören, warum sie denn nur so kurz Elternzeit nimmt.
Das lässt sich übrigens ganz hervorragend auf Anwaltskanzleien übertragen. Oder auf Gerichte (schauen Sie sich mal an, wie beim BGH die Posten, z.B. gerade die Senatsvorsitzenden, besetzt werden – wo sind die Frauen?!). Oder auf Unternehmen.
Und gilt leider auch für Nicht-Juristen.
Letzter Punkt: Schauen Sie sich mal die schöne digitale Welt an, die Sie – aus anderen Gründen – so rühmen. Angeblich ist man da ja so schön frauenfördernd, so offen etc. Und wer wird dann zu den großen Vorträgen eingeladen? Wer wird exponiert dargestellt? Wer wird für Interviews angefragt? Wer schreibt die großen Artikel in der FAZ und die Stellungnahmen in der SZ? Die großen alten Herren.
Bei den Juristen besonders beliebt: BGH und BVerfG-Richter, auch wenn sie vom Thema keine Ahnung haben…
Genug gejammert. Machen wir’s in unserem Umfeld besser!
Hier! Allerdings: Richterin. Immerhin kurz vor R2 und schwer damit beschäftigt die Generation nach mir zu motivieren. Wenn uns die Männer nicht sehen, müssen wir uns selbst helfen 🙂
Absolut! Ich bemerke das auch immer wieder an mir selbst, man muss sich zur Diversität erziehen.
Beim djb 🙂 Nee, Scherz beiseite. In der Altersgruppe Ist bei den Leuten die ich kenne gar keine Luft für irgendwelche beruflichen „Extras“. Da haben Frauen die maximale Dreifachbelastung mit Beruf und Kindern und Haushalt.
Leider auch karrierebewusste Feministinnen und ich nehme mich nicht aus