Jahresrückblick 2018: Zweites Quartal

April

Seien wir ehrlich: Das Veneto sieht aus wie Niedersachsen. Die Dörfer scheinen alle aus den Fünfziger Jahren zu stammen, die Äcker sind flach, aber unser Ferienhof ist schön, die Pferde gepflegt,  und Ostern sitzen wir mit dem halben Dorf zusammen und essen einen Gang nach dem anderen. Schön auch: Verona.

Überhaupt entdecke ich das Reiten dieses Jahr wieder neu. 2017 saß ich das erste Mal nach langer Zeit wieder auf einem Pferd, kam kaum ohne Aufsteighilfe in den Sattel, wurde beim Leichttraben hin- und herumgeschleudert, aber im Herbst 2018 werde ich über die Hügel der Toskana reiten und es wird sein, als wäre ich nie abgestiegen, und ich werde nie glücklicher gewesen sein in diesem Jahr als in diesen Momenten.

Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, über Monate zu verschwinden. Leider ist das Verschwinden schwieriger, als man so denkt. Aus Italien zurückgekehrt bin ich deswegen eine Woche in Berlin, führe Gespräche, telefoniere viel, und entscheide mich in dieser Woche endgültig gegen die Fortsetzung des alten Lebens in neuen Kulissen. Als ich nach dem letzten Gespräch auf der Friedrichstraße stehe, fühle ich mich so leicht und frei wie zuletzt am Tag nach meinem zweiten Examen und fliege übermütig durch die Straßen der Stadt.

Eine Woche später fahre ich nach Malta.

Ich war noch nie auf Malta, aber das Angebot in einem der ungefähr zehn Reisenewsletter war so bestürzend günstig, dass ich kurzerhand ein paar Kleider in eine Tasche werfe, den F. in der Kita abmelde und in einem Strandhotel lande. Einem All-Inclusive-Strandhotel. Immerhin fünf Sterne.

Was soll ich sagen. Es war überraschend okay. Das Hotel war voller älterer, sehr ruhiger Engländer. Das Essen war gut, vielleicht sollte ich meine Vorurteile gegenüber Buffets doch nochmal überdenken. Mit Bussen und Taxen fuhren wir über die Insel, balancierten über Burgmauern, staunten in Palästen, aßen Kekse und tranken Tee in verstaubten Tee Salons und saßen abends am Meer und sahen zu, wie der Himmel errötete und sich in Dunkelheit verhüllend zur Nacht begab.

Der F., übrigens, spricht immer noch von diesem Hotel, in das meinen geschätzte Gefährten zum Leidwesen des F. keine zehn Pferde bekämen.

Mai

Die re:publica ist riesig, gewiss, aber ich plaudere über Tage mit genau den Leuten, mit denen ich seit zehn Jahre spreche. Dieses Jahr ist aber besonders schön, denn ich habe Sohn F. dabei, der inzwischen sechs ist, und F. liebt alles. Er jubelt im Bällebad. Er führt ein langes Gespräch mit einem Mann, der sich Roboter ausdenkt, und springt sogar ein bisschen auf der Stelle, als er erfährt, dass auch er, der F., vielleicht eines Tages ein Cyborg werden wird. Im Vortrag von Felix Schwenzel fasst der F. den Vorsatz, auch unsere Wohnung komplett zu automatisieren, und ganz am Ende singt auch er vor der Bühne inmitten des wirbelnden Konfettis mit. Is this the real life.

Ach, aber sonst? Was habe ich im Mai getan? War ich essen unter wippenden, grünen Bäumen? War ich im Theater? Habe ich nachts mit J2, mit der J., mit der C., mit der I., Wein getrunken? Habe ich viel geschrieben und telefoniert? Vor allem aber habe ich gelesen, viel gelesen, und in Cafés Tee getrunken vor meinem Notebook wie jemand, der ich war und wieder sein werde. Gut geht’s mir im Mai.

Juni

Der Lieblingsbauernhof ist voll, aber ein paar Kilometer abseits gibt es einen Reiterhof mit Ferienwohnung, und der F. und ich reiten durch die Uckermark. Der F. wird geführt, ich verscheuche die Bremsen und der Sommer liegt heiß und trocken auf den Feldern.

Heiß ist und bleibt es. Ende des Monats bin ich wieder in Brandenburg, ein Workshop, und als ich abends noch einmal durch den verwilderten Park spaziere, höre ich nichts, gar nichts, außer dem leisen Rauschen der Bäume, und ich glaube, ich kann den Sommer sehen, wie er auf einem Ast sitzt, die Beine baumeln lässt und mich lässig näher winkt, bekränzt mit Laub und Blüten.

 

2 Gedanken zu „Jahresrückblick 2018: Zweites Quartal

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