„Geht’s dir gut?“, steige ich zur E. ins Auto, die sehr klein und ein bisschen verloren in ihrem Q 7 sitzt. „Mmmh.“, sagt die E. und ich schaue auf. Die E. ist die verkörperte Selbstbeherrschung, und was sie über irgendwas auf Erden denkt oder gar empfindet, merkt man normalerweise nicht einmal dann, wenn man stundenlang neben ihr sitzt.
An sich, denke ich mir und schaue auf der Beifahrerseite aus dem Fenster, hat die E. allen Grund, schon seit Jahren Tag für Tag laut aus dem Fenster zu brüllen oder sich ins Bett zu legen und nicht mehr aufzustehen. Sie arbeitet sich nicht nur einen Wolf. Ihre Mühen werden von ihrem Vorgesetzten entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder als reine Fleißarbeit abgewertet, als sei Fleiß für eine Steuerberaterin irgendwie doof. Ihr Sohn hat ein Hüftleiden, mit dem sie seit Jahren zweimal die Woche bei Physiotherapeuten sitzt. Weil derzeit das Therapiebecken nur mit einem Patienten auf einmal genutzt werden kann und deswegen bisher ganz ungewöhnliche Zeiten vergeben werden müssen, reißt sie zur Zeit ihren Sohn zu nachtschlafener Zeit aus dem Bett, der ihr dafür versichert, er hasse sie aus ganzem Herzen. Ihren Mann habe ich in den ganzen Jahren, seit ich sie kenne, nur ein paarmal kurz gesehen. Ich mag ihm unrecht tun, aber ich glaube, er ist ein bisschen mürrisch und nicht sehr hübsch. Ich glaube, an ihrer Stelle würde ich mit anderen, viel netteren und schöneren Männern ausgehen, aber so leichten Herzens und leichter Hände ist die E. nicht und wohl auch nie gewesen.
„Das wird schon wieder.“, sage ich und ärgere mich über mich selbst, weil das nicht die Worte sind, die ich sagen will. Pack deine Sachen und geh, würde ich ihr gern sagen. Sag alles ab oder geh einfach nie mehr hin. Miete dir eine Wohnung in einer anderen Stadt, nimm nichts mit als dein Kind und einen Koffer Kleider für die ersten drei Wochen. Such dir einen neuen Job, schick deinem Mann eine SMS und wirf dein Handy weg, denn du lebst, wie wir alle, nur diesen kurzen Lidschlag der Unendlichkeit, und wonach du jetzt nicht greifst, das wirst du nie gehabt haben, wenn es dunkel wird.
Aber weil man so etwas nicht sagt, sage ich gar nichts.
Ja, so ist es wohl.
Ja. Und wie oft stimmt es gar nicht, dass man nicht die richtigen Worte findet: Man sagt sie nur nicht.