Sie, meine lieben Reisenden, mögen diese Stadt. Sie sitzen gern vor den Cafés am Hackeschen Markt. Sie mögen die Restaurants am Kollwitzplatz, von denen ich mich immer frage, wer da eigentlich hingeht, und Sie besuchen Orte und Attraktionen, von denen ich vermutlich gar nichts weiß oder noch nie da war. Im Reichstag beispielsweise war ich nur beruflich und auf dem Fernsehturm am Alex noch nie.
Einige Vorlieben, meine lieben Reisenden, haben Sie und ich gemein. Auch Sie mögen beispielsweise den Wochenmarkt am Kollwitzplatz und photographieren aus ungeklärten Gründen dort Stände, an denen es Brot zu kaufen gibt, Würste oder Fisch, und sicher sind Ihre Freunde zu Hause sehr, sehr begeistert, wenn Sie Bilder mitbringen, auf denen lauter Artischocken abgebildet sind. Ich würde Sie gern einmal fragen, ob es dort, wo Sie herkommen, eigentlich keine Wochenmärkte gibt, aber ich habe es am Samstagmorgen meistens eilig und für längere Gespräche daher eigentlich keine Zeit. Übrigens machen Sie mich wahnsinnig, wenn Sie so ganz, ganz langsam über den Markt schlendern und nie etwas kaufen außer vielleicht ein Stück Seife oder so, weil Sie mit einem Steinbutt oder einem Huhn ja ohnehin nichts anfangen könnten in Ihrem Hotel.
Dass Sie ein wenig Geld in diese Stadt bringen, finde ich natürlich toll. Umfangreiche Erfahrungen in unterschiedlichen Regionen haben mir nämlich die Erkenntnis vermittelt, dass Städte, in denen viel gearbeitet wird, schlecht sind fürs Gemüt. Denken Sie nur etwa an Stuttgart, Brüssel oder Frankfurt am Main. Da hebt sich Berlin natürlich sehr vorteilhaft ab. Städte, in denen kein Geld zirkuliert (Görlitz zum Beispiel oder Bremerhaven), sind aber auch kein guter Ort zum Leben, weil es da an den Dingen einfach fehlt, die man halt so braucht für ein glückliches Leben. Eine ordentliche Pâtisserie etwa. Gute Bars. Läden, in denen schöne, gut angezogene Menschen mit Geld um sich werfen. Da lobt man sich doch Berlin, wo ziemlich viele Mittel unter die Leute gebracht wird, die nicht hier, sondern sonstwo verdient wurden. Bitte geben Sie daher angemessen viel Geld aus, und zwar ausschließlich für irgendwelchen unnützen Krempel. Sie werden es nicht bereuen.
In einigen Punkten kann ich Ihr Tun und Treiben allerdings nur verurteilen. So werfen Sie Straßenmusikanten immer wieder etwas in den Hut. Beispielsweise die Zwei-Personencombo, die gestern wieder vor dem Mao Thai stand, bis die Kokosmilch flockte, gäbe endlich Ruhe, behielten Sie Ihr Geld für sich, und auch die Frauen, die Hein spielt so schön auf dem Schifferklavier auf der Zieharmonika intonieren, gehören abgeschafft und nicht entlohnt. Geben Sie besser möglichst geräuschlosen Bettlern milde Gaben, die einfach so dasitzen. Das wird eine erzieherische Wirkung auf Straßenmusikanten ausüben. Bitte geben Sie auch den Obdachlosenzeitungsverkäufern nichts, die sind auch immer so laut.
Überhaupt Ruhe: Ich will an dieser Stelle gar nicht Ihre Kinder thematisieren, die ich super finde, weil sie ausschließlich nach Berlin kommen, um zu feiern und ganz viel zu trinken. Ich finde das völlig nachvollziehbar, denn schließlich ist die Ausrichtung von Festen fast das Einzige, was hier wirklich gut funktioniert, und wenn ich dahin gehe, wo auch Ihre Kinder tanzen, weiß ich, dass es laut wird, und begebe mich meistens sogar extra dahin. Gar nicht gut finde ich es aber, wenn Sie selbst lärmen, etwa als übergewichtiger Teil eines Junggesellenabschieds, als sogenannte Kollegensause oder weil Sie und ihre Freunde glauben, die Berlinerinnen, eingeboren oder zugezogen, hätten auf Sie nur gewartet. Wer auch immer Ihnen eingeredet hat, die Frauen Berlins gingen auf Einladungen trinkfreudiger Männergruppen zum Bier gern ein: Er hat Sie belogen.
Ach, liebe Reisende. Viel gäbe es noch zu sagen. So sollten Sie (aber wo gilt das nicht) sich im Interesse eines angenehmen Straßenbildes einfach so kleiden wie immer und nicht wie jemand, der einen Berg besteigt oder eine Morast durchwatet. Seien Sie versichert: Das Dickicht der Städte ist nur so eine blöde Redensart. Wenn Sie S-Bahn fahren, sollten Sie daran denken, nicht unmittelbar hinter der Rolltreppe anzuhalten, um zu überlegen, wo Sie hinwollen, und wenn Sie etwas Typisches essen möchten, nehmen Sie bitte Abstand von Eisbein und Currywurst; das riecht so komisch und sieht auch nicht gut aus. Wenn Sie Leute ansprechen, die nicht berlinern, sagen Sie Ihnen nicht, dass Sie das enttäuscht, und wenn Sie jetzt noch aufhören könnten, auf irgendwelchen beliebigen Plätzen der Stadt aus großen Wasserflaschen Wasser zu trinken, als durchquerten Sie die Wüste Gobi und nicht den Helmholtzplatz, verzeihe ich Ihnen sogar die erhebliche Verkehrsbehinderung, die Sie verursachen, wenn Sie so bedächtig auf einer dieser Fahrradstadttouren durch die Gegend fahren, als säßen Sie das erste Mal seit zwanzig Jahren auf einem solchen Gefährt.
Ansonsten: Herzlich willkommen. Haben Sie Spaß.
Perfekte Beschreibung! Touristen und ihr Geld sind hier mehr als willkommen, dennoch warte ich die ganze Zeit auf den ersten – ja, ich weiß das ist böse – schweren Verkehrsunfall, verursacht durch eine staunend plötzlich auf der Straße stehen bleibende Fahrradtouristengruppe. Damit endlich im Lonely Planet, Marco Polo und auch im Dumont Reiseführer steht: ACHTUNG Berliner Strassen sind sehr gefährlich, Berlin ist kein Disneyland, die niedlichen gelben Trams sind echt, und die Frauen im Anzug auf Mountainbikes zu Arbeit rasend sind keine Animateure…Sie fahren Euch im Zweifel irgendwann alle um….
Sauber. Den Text sollte man so an Infoständen auslegen lassen. Das Musikantenproblem verdient unter Umständen eine eigene Broschüre.
Derartiges Treiben ist allerorten zu geißeln.
Danke für diesen Text. Er spricht mir aus der Seele. Mir, die beruflich in Westdeutschland arbeitet.
Teils gilt es, Menschen nach Sitzungen in Restaurants in Berlin kulinarisch zu versorgen. Was sich hiesige Chefs so aussuchen… wundern sich dann immer, warum ich die Läden nicht kenne, oder von innen nicht kennen will, in die sie gehen wollen, nachdem sie die von mir ausgesuchten negiert haben.
Ich wünsche dann immer viel Spaß und bin froh, dass ich sie für nen Moment in nem Tourischuppen untergebracht habe und sie nicht auf der Mitte des Gehweges stehen bleiben können.
Ich möchte bitte eine große Scheibe Ihres Großmuts haben (ich merke genau, dass Sie nicht mit zusammengebissenen Zähnen geschrieben haben). Fahrradtouristen scheinen die achte pharaonische Plage zu werden, in München zu erkennen an ungewöhnlich breitreifigen, breitsattlichen und weitlenkrigen Modellen. In Rudeln blockieren sie die schmalen Streifen der Innenstadt, die neben den ungeheuer vielen Baustellen bleiben.
Wieso sehen wir uns nicht in der Pflicht, die oft gepriesene Berliner Miesepetrigkeit oder den viel besungenen Münchner Grant an den Tag zu legen? Beißen gehört doch sicher dazu.
aber ich schau mir so gern die backpacker an, die etwas verpeilt und immer etwas wirrhaarig zu frühen morgenstunden an straßenrändern stehen, ihr schweres gepäck balancierend, wenn ich von kreuzberg nach niederschönhausen fahre. backpacker. die neuen matrosen. flugbegleiter mögen sich gehackt legen.
„(…) und wenn Sie jetzt noch aufhören könnten, auf irgendwelchen beliebigen Plätzen der Stadt aus großen Wasserflaschen Wasser zu trinken, als durchquerten Sie die Wüste Gobi“
Ich dachte bislang immer, das fände nur ich unelegant. Jetzt sind wir schon zwei!
Sehr verehrte Frau Modeste,
ich werde mir Ihre Worte bei meinem nächsten Berlinbesuch sehr zu Herzen nehmen. Die Möglichkeiten des Geldhinterlassens hängt stark vom Stand meines Bankkontos ab, die Geldbörse selbst hat nur ein beschränktes Fassungsvermögen.
Sicher bin ich mir aber, dass ich Ihnen bei meinen früheren Besuchen Ihrer geschätzten Stadt, niemals behindernd über den Weg gelaufen bin oder gelangweilt schlendernd Ihre Eiligkeit gebremst habe.
Diese Tatsache erfüllt mich mit Zufriedenheit, sehr erfreut hätte mich jedoch, wenn sich unsere Berliner Wege gekreuzt hätten. Eigentlich schade.
und jetzt stellen sie sich mal vor, sie würden in rom leben …
p.s.: ich trinke immer und überall aus großen wasserflaschen, unelegant von den models dieser welt übernommen hin oder her. woraus den auch sonst – vorher in die geöffnete hand gießen?
Dankbar stelle ich fest, dass viele der Eigenheiten, welche Sie beschreiben, auf Wien eher nicht zutreffen. Mit einer Ausnahme, einer Ausnahme, die mich als passionierte U-Bahn-Benutzerin allerdings an den Rand eines Amoklaufes zu bringen vermag:
„Wenn Sie S-Bahn fahren, sollten Sie daran denken, nicht unmittelbar hinter der Rolltreppe anzuhalten, um zu überlegen, wo Sie hinwollen …“
REPLY:
Ja, das trifft es sehr gut: Viele Touristen verhalten sich so, als bewegten sie sich in einer Kulisse.
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Und es wird wieder nichts bringen.
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Jawohl. Das sollten sie mal in der Schule lehren.
REPLY:
Ja, das ist ein sonderbares Phänomen. Ich sage mir dann immer, dass dort, wo die Leute wohnen, ansonsten keiner den Bürgersteig benutzt.
REPLY:
Das würden die Touristen sicher als ulkige und landestypische Putzigkeit auslegen.
REPLY:
Da gibt es schnuckelige Geschöpfe.
REPLY:
Wohl wahr. Als reiche die ganz normale Wasserzufuhr durch Wasser aus Gläsern in Cafés oder Bars nicht aus.
REPLY:
In der Tat. Melden Sie sich, wenn Sie in der Stadt sind, ich treffe gern Leute auf einen Kaffee, wenn es sich zeitlich gerade ausgeht.
REPLY:
Ich trinke Wasser aus Gläsern in Cafés oder Restaurants.
REPLY:
Ein sonderbarer Brauch. Man sollte meinen, Leute wüssten, wo sie hinwollen, wenn sie eine Rolltreppe besteigen. Ob diese Leute auch mit dem Auto erst losfahren und vor der ersten Ampel überlegen, wo es hingehen soll?
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hmhh … da würde ich ja dann den ganzen tag sitzen müssen.
„Leute, das ist nicht der rote Teppich, das ist der Fahrradweg!“ Kennen sie halt nicht, da wo immer sie herkommen (aber empört hinter mir hergröhlen, das können sie…). – Und wohin sind eigentlich diese Schilder verschwunden, die früher an den Rolltreppen hingen: „Rechts stehen – links gehen!“-?