Keiner weiß, was die Berliner Brasilianerinnen beruflich gemacht haben, bevor eine nach der anderen Enthaarungsstudios eröffnet hat. In jeder Straße gibt es ungefähr zwei. In den meisten Studios werden auch andere kosmetische Behandlungen angeboten, aber keins der Studios, stelle ich fest, will mich verschönern. Zumindest nicht heute: Da, wo ich einen Termin habe, ist die Kosmetikerin erkrankt, da wo ich keinen Termin habe, ist keiner mehr frei, und so sitze ich haarig und mit schief geschnittenen, splitternden Nägeln mit Rillen auf meinem Bett und rufe irgendwo an. Zwischendurch gehe ich eine Stunde zum Pilates, kaufe kurz ein, und dann telefoniere ich weiter. „Ich kann so kaum vor die Tür!“, versuche ich die Angestellten von Kosmetikstudios zu überzeugen, an mir ein wohltätiges Werk zu tun, und schließlich bin ich erfolgreich. Es war das achte Telefonat.
Eigentlich mag ich keine Kosmetikstudios mit medizinischer Aura. Ich mag die Alte-Damen-Läden mit Tüllgardinen und dicken Puderquasten und Zerstäubern aus buntem, geschliffenem Glas, in denen es nach Lavendelwasser riecht. In meiner Situation indes wäre ich sogar in die Charité gefahren, wenn man mir da die Fußnägel schneiden würde. Ich schließe also fest die Augen und überlasse mich in durchaus klinikähnlichem Interieur einer Braslianerin mittleren Alters, die alles über Fernsehserien weiß, in denen Mädchen Models werden wollen. „Ich dachte, Modeln ist seit den Neunzigern vorbei?“, frage ich irgendwann, aber liege offenbar falsch. Die Kosmetikerin findet Models super.
In der Nachbarkabine quatscht ganz offensichtlich eine schon vor zehn Jahren eher mittelmäßg geschätzte Studienkollegin irgendetwas Irrsinniges über Kunst. Die Kosmetikerin spricht über ein Mädchen, das einen Preis für gutes Aussehen gewonnen hat, und in der ZEIT erbost sich Adam Soboczynski über die verderblichen Auswirkungen der Dummheit derjenigen, die sich im Internet äußern, als sei die Dummheit mit dem Netz entstanden, und nicht vom Anbeginn der Welt an dagewesen und artikuliere sich jetzt nur halt etwas lauter. Ein steter Quell des Entzückens über Dummheit und fehlende Distanz zu eigenen Positionen ist mir in diesem Zusammenhang – hier soll es einmal erwähnt werden – übrigens das Kommentatorenwesen auf FAZ.NET: Ein verlässlicher Garant guter Laune.
Wer aber von derlei Dummheit im Internet dümmer wird, denke ich und überlasse meine Füße einer merkwürdigen Maschine, die Hornhaut abflext, darf eigentlich morgens nicht vor die Tür aus Angst, in der U-Bahn pro Fahrt ob der strunzdummen Umgebung bis zu zehn IQ-Einheiten einzubüßen. Dummheit im Netz, überlege ich mir und wähle sorgfältig zwischen unterschiedlichen Nagellackfarben, ist am Ende ähnlich leicht zu umgehen, wie Dummheit an irgendwelchen anderen Orten. Man muss da ja nicht hin.
Dummheit in einem Kosmetiksalon ist allerdings nur dann zu vermeiden, wenn man nicht mit Papierstreifen zwischen den Zehen und einer Feile auf den Fingernägeln auf dem Behandlungsstuhl sitzt. Die Kosmetikerin quatscht trotz Zeitung einfach weiter, lässt sich weder von einem laufenden IPod noch von mehreren mitgeführten Periodika beeindrucken, und so gehen im Zuge der sorgfältigen Hand- und Fußpflege eine Modelshow, die Zeitschrift für Umweltrecht und das Süddeutsche Magazin eine nicht wenig reizvolle Verbindung ein. In der Nachbarkabine schwadroniert meine Ex-Kommilitonin noch immer über Kunst, dass die Schwarte kracht.
Als der Lack auf meinen Nägeln trocken ist, reicht man mir einen Tee. Vorsorglich, und um meine neu erworbene Zehennagelschönheit nicht zu gefährden, wickelt die Kosmetikerin meine Zehen sogar noch in eine Art Klarsichtfolie ein. Dann bin ich entlassen.
Angesichts dieses Erlebnisses erlangt der Satz „Schönheit muss leiden“ gleich noch eine ganz andere Dimension.
REPLY:
Ohnehin ist es sagenhaft, was man alles machen muss, nur, um halbwegs gepflegt auszusehen. Ich bewundere immer die Frauen, die von Kopf bis Fuß zurechtgemacht sind, ich bin oft schon zum Eincremen zu faul, schminke mich nur, wenn es nicht anders geht, weil sonst kleine Kinder vor mir weglaufen, und gehe grundsätzlich erst zum Friseur, wenn ich kaum mehr etwas sehe.
Da muss ich mal Sie zitieren mit einem Ausdruck, den ich vor einiger Zeit tatsächlich nachschlagen musste + der mir auch eine Weile nachgegangen war: „Allokation von Zeit + Mühe“. Ich finde, Kosmetikstudio bringt optisch rein gar nichts, kostet nur Zeit + Nerven, wie Sie ja so wunderbar beschrieben haben. Das ist wie beim Gärtnern, viel rumdoktern hilft nicht unbedingt. Gut, professionelle Enthaarung … aber das mag ich irgendwie nicht in die Hände einer flinkhändigen Quasselstrippe geben. Allerdings: Ich bin so schätzungsweise 5+ Jahre älter als Sie + sehe noch nicht unmittelbar, aber doch am Horizont dräuen ein dickes, faulheitsunkompatibles Thema: weiße Haare.
REPLY:
Ich bin nicht so besonders praktisch veranlagt, und was ich selbst mache, sieht nie so aus, wie das, was andere mit mir tun. Insofern – was bleibt mir übrig.