Für mich

O wie blüht mein Leib aus jeder Ader
duftender, seitdem ich dich erkenn;
sieh, ich gehe schlanker und gerader,
und du wartest nur-: wer bist du denn?

Rainer Maria Rilke, 1906

Vor ein paar Monaten, im Herbst: Die auf einmal offene Autotür, der Schreck, der Sturz, mein umgekipptes Fahrrad, der ipod, der die ganze Zeit weiter singt, singt, singt, und ich liege auf der Straße dazu.

Fast eine ganze Minute biegt sich die Welt, will brechen, bricht doch nicht, weil kein Auto kommt, mich zu überfahren, und dann stehe ich wieder auf, klopfe mir die Hosen ab und lasse mir aufschreiben, wer mich beinahe umgebracht hat, an diesem Morgen um halb neun. „Das wollte ich nicht.“, entschuldigt sich ein junges, blondiertes Mädchen mit Pausbacken und zu viel Schminke.

Die Punkte über dem „I“ im Namen des Mädchens bestehen aus kleinen, halbgeöffneten Kullern, und an ihrem Handy hängt ein rosafarbenes, glitzerndes Herz. Auf dem steht ihr Name.

So also sieht der Tod aus, schießt es mir durch den Kopf, unrichtigerweise, denn ich lebe ja noch, und fahre weiter zur Arbeit. Ziemlich unsicher trete ich die Pedale am Alex vorbei nach Kreuzberg und lächele ein bißchen über mich, die lieber einem schöneren Tod begegnet wäre, einem schlanken, biegsamen, eleganten Herrn mit weißem Shawl, mit sicherem Griff und festen, warmen Händen.

8 Gedanken zu „Für mich

  1. Gut ausgegangen, welch ein Glück. Das war ja auch nicht Ihr Tod, das rosa Mädel, sie braucht Ihnen ja nicht zu gefallen:-)
    Wenn die Dame weiter so schusselig fährt, erwischt sie sicher noch den
    passenden jungen Mann mit Piercing und weißer Turnhose.

  2. Wie sieht der Tod aus…

    Ich vermute, du bist dem Alexa-Tod begegnet. Der ist neu in der Stadt und noch etwas unsicher. Auf meinem Weg vom Friedrichshain nach Schöneberg glaube ich ihn schon öfter -wenn auch aus größerer Entfernung- gesehen zu haben. Der Tod in Kreuzberg ist morgens noch nicht so unterwegs, da schläft er noch. Und der Schöneberger will sich mit dir über Literatur, Medien oder film unterhalten und vergisst darüber seine Arbeit. Der, den du erwartetest, findet sich meines Wissens nach eher im äußersten Westen der Stadt.
    😉 Du hast da einen anregenden Text geschrieben, wie du siehst! Ich hoffe, ohne dass dein Schreibanlass irgendwelche Folgeschäden hinterlassen hat. Grüße, ele

  3. Tod hin Tod her – man sollte nicht „shawl“ schreiben – das klingt zu affektiert, „comforter“ reicht fuer werktags …. finde ich.

  4. REPLY:

    Den zu finden, Frau Croco, dürfte die Person keine Mühe haben. Das Alexa, Frau Ele, ist da sicherlich ein Ort, an dem sie fündig werden würde. Ich war noch nicht da, habe aber die grausigsten Vorstellungen von diesem Ort. Dann doch eher, Herr Glam, die von die Ihnen vorgeschlagene Dame, auch wenn ein Herr – mit Schal oder Shawl Herr Brandtwein – mir persönlich ja immer lieber wäre. Wenn man es sich denn aussuchen kann, aber bekanntlich herrscht gerade in den wichtigsten Dingen erstaunlich und ärgerlich wenig Spielraum für eigene Entscheidungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken