Eine grüne Wartemarke war’s, von einem ausgewaschenen, kreidigen Grün, aber die Zahl darauf – ich hab‘ sie nicht gelesen. Vielleicht war der Zettel sogar leer. Niemand sonst war auf dem Korridor, der nur einer Behörde gehören konnte, das stumpfe Linoleum unter meinen Sohlen, das wohl einen Steinboden imitieren sollte, die abwischbaren Wände, halbhoch gelb gestrichen, und von einem tristen, gebrochenen Weiß bis unter die Decke.
Ganz allein saß ich auf dem Gang, die Türen waren noch geschlossen, und hielt mich fest an der Wartemarke, die ich in der Hand drehte, zusammenrollte, knickte und faltete. Ein wenig nervös war ich, weil man mich dahingesetzt hatte, einbestellt von Nacht und Traum, wozu auch immer. Hoch war der Korridor und schmal, ein weißes, diffuses Licht sog die Farbe aus meiner Haut, die käsig schien, farblos, als hätte man etwas abgezogen, was eigentlich noch zu mir gehörte, eine elastische Schicht aus Farbe zwischen mir und der Welt.
„Frau Modeste!“, wurde ich hereingerufen, eine Frauenstimme drang verzerrt aus den Lautsprechern unter der Decke, und hinter einem Tisch saßen drei Maskierte und sahen mich an. Kreisrunde Löcher hatten ihre Masken um die Augen, die ich zu erkennen meinte, zuerst. Aber nein, erschreckte ich mich. Das würdet ihr nicht tun, und ich sprach sie nicht an mit Namen. Vielleicht hätte ich sie rufen sollen, vielleicht erinnern an alles, alte Zeiten, Liebe, Freundschaft und Vertrauen, aber sie sahen mich an, als seien sie’s nicht, und ausziehen musste ich mich und wurde gewogen und gemessen.
„1,67!“, quakte wieder der Lautsprecher, und ich sah an mir herab, rotes, rohes Fleisch und die Tränen liefen mir über die Wangen. „Sie können jetzt in den Behandlungsraum.“, kündigte die Vorsitzende mir an, und ich lächelte ihr versuchsweise ein wenig zu, aber sie schien es wirklich nicht zu sein, denn die Maske behielt sie auf und sah streng an mir vorbei durch die runden Löcher.
Durch eine Tür musste ich gehen, durch eine zweite, und es wurde ziemlich heiß, so warm wie in meinem Schlafzimmer vielleicht, und ich hob die Arme, weil man das so machen musste, um behandelt zu werden. Ein großes Waffeleisen stand zur Behandlung bereit, und ich stellte mich folgsam in die Mitte. „Jetzt schließen sie die Augen!“, sprach man mir beruhigend zu, und die beiden Seiten des Eisens senkten sich und schlossen mich ein.
Heiß wurde es. Sehr heiß, und eng dazu, und die Stacheln des Eisens stachen mir in die Haut. Jetzt erst bekam ich Angst, man hatte mir also eine Falle gestellt. Das hätte ich nicht von euch gedacht, konnte ich nicht mehr sagen, und im Hintergrund tuschelte die Spruchkammer leise, wann man das Eisen in Betrieb nehmen sollte, wie sie sagten, und ich schnappte nach Luft. In meiner Hand begann die Wartemarke zu glühen und zu qualmen, aber um sie fallen zu lassen war es zu eng, und die Marke fraß sich in meine Hand.
Es werde schnell gehen, versprach man mir, und ich versuchte zu nicken.
wenn ich den text zu einseitig interpretiere
oder falsch, dann entschuldige.
mir tut es nur leid, dass recht wenig bei den alternativen untersuchungsmethoden geforscht wird, denn dazu bräuchte es eher techniker als mediziner. und letztere haben es nicht so gern, wenn andere auch was beitragen …
was tust Du nur, was Dir solche träume bereiten kann?
Die Tage müssen sich ändern,…
wenn auch die Träume/Nächte sich ändern sollen.
Ein Text, der einen so schnell nicht losläßt. Beklemmend.
Kafkas Strafkolonie ersteht wieder, um einige Komponenten bizarrer!
frau modeste,
am 5. juni schrieben sie über „die miesen dichter der bonner republik“, und in einem ihrer antwortkommentare finden sich folgende zeilen:
„… – ich mag aber auch Kafka nicht. Ich hab’s nicht so mit dem Kryptischen. Ich mag die Dinge, die man anfassen kann, die sinnliche Welt, und ich glaube, das so gut wie alles, alle Halbheiten und alle Diffuse in Worte gefasst werden kann, ohne Zuflucht zu diesen blutleeren Bildern zu nehmen. Ich bin eine Aristotelikerin des Alltags. Ich habe mich bei Kafka rechtschaffen gelangweilt.“
der letzte satz, werte frau modeste, versetzt mich angesichts ihrer träume keineswegs in erstaunen !
REPLY:
Beängstigend 🙁
Ich finde es spannend wenn man sich gut an seine Träume erinnern kann und diese so fesselnd wiedergeben kann.
Eine kleine Kritik sei mir gestattet :
…, so warm wie in meinem Schlafzimmer vielleicht…
diesen Hinweis finde ich für die gesamte Geschichte nicht wichtig, er zieht einen aus der Handlung, enttarnt ohne wirkliches Bedürfnis.
REPLY:
was ist beängstigend ?
dass ich noch weiß, was frau modeste anfang juni geschrieben hat ?
was mich daran erinnert, dass man kindern albträume vorab einreden kann. bei meiner nichte funktionierte das zweimal hintereinander. der einfache satz: träum nicht von wilden ziegen, führte zu nächtlicher betriebsamkeit. natürlich handelte es sich bei diesem versuch um einen rein wissenschaftlichen. sollte man nicht nachmachen.
Das erinnert mich an den „Maleus Maleficaroum“ (Der Hexenhammer). Nur das da damals keine wartemarken verteilt wurden.
oh je. sehr beklemmend. ich mag keine krankenhaueser oder Aemterstuben und dies klingt nach beidem….
Mit Naturheilkunde hatte der Traum, glaube ich, nichts zu tun, Frau Hotel Mama, aber ich weiß es natürlich nicht genau – vielleicht war es nur eine etwas unkonventionelle Therapie gegen Heuschnupfen oder so. Und mit meinem Tagewerk hat derlei, Special, nichts zu tun, möchte ich doch schwer hoffen. Deswegen würde eine Veränderung meines Tun und Treibens, Herr Sokrates, vermutlich auch nichts ändern.
Komplimente, Larousse und Che, höre ich ja immer gern. Auch wenn sich Frau Walküre schon ganz richtig erinnert, und Kafka wirklich nicht so….aber egal. Auch Fritz deute ich jetzt einfach mal als Kompliment, weil ich Komplimente mag, und Herr Reh mag recht haben.
Herrn Haases Experimente hören sich allerdings wirklich nicht sehr nett an, vielleicht nicht ganz so unfreundlich wie der Hexenhammer, Detika, obwohl…
REPLY:
Für mich, obwohl ich guten Ärzten nun Einiges zu verdanken habe, ist die
Ähnlichkeit zwischen OP und Folter auf der subjektiven Ebebe ja immer
gegeben, wegen des Gefühls der Ausgeliefertheit, daher auch der Gedanke
an Kafkas Strafkolonie. Im Waffeleisen treffen sich die Angst der Patientin
vor der OP mit dem Schreibgerät aus der Strafkolinie und der Eisernen Jungfrau.
btw.: Zu Zeit träume ich auch viel absurdes Zeug., wenn auch nicht so wunderbar
erzählwürdig-bizarr. Muss an der schwülen Hitze liegen.