Irgendwann im Sommer verabschiedete sich mein Friseur eines Tages mit fast übertriebener Förmlichkeit von mir und ging zum Theater. „Dann alles Gute.“, drückte ich den unvergleichlichen, wunderschön tätowierten Meister meiner Haare ein letztes Mal ans Herz, und begab mich beim nächsten Friseurbesuch unter das Messer eines anderen Herrn. Als ich heimkam, waren die Haare…. nun ja, irgendwie schief.
„Findest du nicht, dass meine Haare irgendwie schief liegen?“, wandte ich mich an den J. „Warte mal ab, bis du sie selber nochmal gewaschen und geföhnt hast, dann sieht das schon ganz anders aus.“, tröstete der; am nächsten Morgen allein war keine wesentliche Besserung zu verzeichnen. Drei Wochen später ging ich wieder zum Friseur.
„Irgendwas stimmt nicht.“, sagte ich zur C., die meine Frisur längere Zeit von vorn und hinten aufmerksam beobachtete. „Unsinn. Du siehst gut aus.“, wehrte die unentbehrliche Freundin ab, ich aber begann, in jeden Spiegel an den Wegen meines Daseins überaus kritische Blicke zu werfen. – Wenn diese Strähne irgendwie mehr nach vorn fallen würde, dachte ich etwa. Oder: Wäre gut, wenn die Haare auf dem Oberkopf nicht ganz so buschig wären. Oder so ähnlich. Auch ein erneuter Friseurbesuch, und dann noch einer, brachten keine wesentliche Verbesserung der Gesamtsituation mit sich. Auf meinem Kopf hatte sich ein schwarzes, struppiges Problem zu wuchern entschlossen, und die Friseure Berlins scheiterten reihenweise an der Widerspenstigen Zähmung.
„Kannst du mal aufhören, die ganze Zeit in deinen Haaren herumzuwühlen?“, fuhr der J. mich schließlich, Freitag nachmittag war’s, an. Mein Spiegelbild über dem Kaffeehaustisch schaute bei diesen Worten etwas unglücklich und ausnehmend schlecht frisiert auf J. und mich herab, und ich widerstand nur knapp und nicht besonders lange der Versuchung, die Haare am Hinterkopf ein bißchen zur Seite zur schieben, einzelne Strähnen ein wenig einerseits in, andererseits aus der Stirn….und so weiter.
„Ich geh‘ morgen zum Friseur.“, kündigte ich dem J. an. „Blödsinn.“, wehrte der ab. „Du hast sie einfach nicht mehr alle. Du warst doch gerade erst beim Friseur. Deine Haare sind gut.“ – Hast du eine Ahnung, schaute ich dem J. fest in die schwarze Lockenpracht, die glänzend und durch und durch unproblematisch des verehrten Exfreundes Haupt verziert.
Ach, dachte ich aber schon knappe zwanzig Stunden später am Samstagvormittag, und beschloss, dem geschätzten ehemaligen Gefährten zukünftig doch mehr Gehör zu schenken, als dies gewöhnlich der Fall war und ist. Im Spiegel sprang ein mir unbekannter, aber teuflischer Friseur hinter meinem Kopf begeistert hin und her, auf dem Boden lagen kiloweise Haare, die in einem wahren Paroxysmus des Haareschneidens binnen weniger Minuten zu Boden gefallen waren. Auf meinem Kopf dagegen befanden und befinden sich der Haare nur noch wenige, die zudem sehr, sehr sonderbar fallen.
„Meinst du nicht, das ist ein bißchen kurz?“, stammelte ich schockiert dem Friseur vor. „Süße, du siehst super aus.“, verteidigte das Böse sein Werk, und knetete Unmengen Wachs in die traurigen Relikte auf meinem Kopf. Gesenkten Hauptes verließ ich sodann das Golgatha meiner Frisur, und klagte dem geschätzten ehemaligen Gefährten telephonisch mein Leid. „Wart doch erstmal ab, wie es aussieht, wenn du die Haare selber und geföhnt gewaschen hast.“, flüchtete dieser in die billigen Tröstungen derer, die keine Probleme auf dem Kopf haben, und ich wandte mich an die C.
„Ich gehe heute nicht mehr raus. Ich habe jetzt schlechte Laune“, nörgelte ich der C. vor. „Schwachsinn. Soweit kommt´s noch.“, bügelte die C. mich ab, und befahl mein Erscheinen auf den meergrünen Polstern des „Visite ma tente“. Unglücklich und schlechtgelaunt hielt ich mich zwanzig Minuten später an meinem Weinglas fest, spiegelte mich in den Scheiben, und fragte jeden, jeden, ob Herr oder Dame, nach meiner Frisur. – „Können wir vielleicht demnächst wieder über etwas anderes sprechen?“, fragte der J. ungefähr am Dienstag einmal nach und verwies auf sein herannahendes zweites juristisches Staatsexamen.
„Wenn sie wieder nachgewachsen sind.“, ächzte ich durch den Hörer und legte auf.
Liebe Modeste, es ist schön, Dich wieder zu lesen.
Ich fand Deine Frisur kürzlich bei der Lesung ausgesprochen gelungen.
Abgesehen davon: Wenn du magst, würde ich Dir gerne meine Friseurin empfehlen, die nicht nur auf meinem Haupt wahre Wunder zu vollbringen vermag.
Bei Frau Modeste gibt es immer wieder fremde Wörter zu lernen. Keratin, nie gehört. Sonst stammen die unbekannten Wörter ja eher aus den Bereichen Kunstgeschichte oder Kuchen, aber auch im weitesten Sinne Kosmetik (nur weil es so eine Alliteration gibt) finde ich interessant.
Ach und Frau Kirschrot, ich glaube nicht, dass Frau Modeste selbst in dieser Zwangslage einen Friseur auf sagen wir dem Kudamm besuchen würde, ja, ganz Westberlin scheint ihr vermutlich als ungeeignetes Pflaster, um sich die Haare richten zu lassen. Ebenso wie sie, geschätzte Abendbegleiterin K., wohl niemals eine Szenecoiffeurboutique am Prenzlauer Berg besuchen würden. Aber kürzlich bin ich ja da in Kudammnähe am Laden des Udo Walz vorbei gekommen. Und ich muss sagen: Der hat schon ganz andere Fälle in den Griff bekommen, mit denen ich die werte Frau Modeste jedoch nicht mal was die Widerspenstigkeit der Haarpracht in einen Topf zu werfen versucht bin. .
REPLY:
Ach, Herr Bandini, ich bin da gar nicht so.
Und der Walz, der wird doch total überbewertet.
REPLY:
Ich bin, Frau Kirschrot, ja gegenwärtig dankbar für jede Friseurtip, werde aber erst wieder zum Haareschneiden gehen, wenn ich auch wieder Haare habe. Es sieht, sehr schlimm aus im Moment. Und Westberlin, Herr Bandini, hey, wissen Sie eigentlich, wie lange ich da unterwegs bin? Geht ein Westberliner Friseurexperiment daneben, müsste ich ja stundenlang durch die ganze Stadt gondeln, und alle Welt starrt mir auf die Haare.
Schief ist das neue eben.
REPLY:
…und dann wird das Neue alt, man gewöhnt sich daran, und schließlich wird es durch ein Neues ersetzt, das dann wiederum schiefer erscheint, als der vormals bestehende Zustand jemals war.