Auf einer Insel schlafen

Wann habe ich eigentlich das letzte Mal ausgeschlafen, überlege ich, einen sehr netten Nachmittag später, und schaue auf der Tafel im Hamburger Hauptbahnhof nach dem nächsten Zug in die norddeutsche Kleinstadt, in die ich weiterfahren soll, und wo man auf mich wartet. Den einen Zug habe ich knapp verpasst, der nächste Zug fährt erst um zehn, und so kaufe ich mir bei Gosch ein Fischbrötchen und greife zum Telephon. Die V. ist gar nicht in Hamburg, höre ich, sondern bevölkert eine Münchener Party, die im Hintergrund geräuschvoll vor sich hin scheppert. Die F. sitzt mit ungezählten Leuten in einem Restaurant in Hamburg herum, ich solle mir ein Taxi nehmen und kommen, brüllt die F. gegen die Hintergrundgeräusche an, aber ich bin so müde, ich mag gar nicht mehr sprechen, ich bin seit Tagen unterwegs, und so verabrede ich mich für ein Wochenende, an dem ich, stelle ich nach dem Auflegen fest, gar nicht in Berlin bin, und versuche mein Glück bei der B.².

„Das ist schön, dass du anrufst.“, sagt die B.², und sagt zum Glück kein Wort von „warum hast du dich nicht gemeldet, wenn du schon einmal da bist“, oder „von dir habe ich ja ewig nichts gehört“. Im Hintergrund ist es ruhig, ich mag gerade gar nicht mehr weiterfahren, und die B.² erklärt mir den Weg mit der U 3 bis zu ihr, und verspricht, sich meiner völligen Orientierungslosigkeit erinnernd, mich an der U-Bahn abzuholen. Mit einer Tüte Schokolade und meiner Tasche überm Arm fahre ich der B.² entgegen, schon in der U-Bahn fallen mir fast die Augen zu, und auf dem Bahnsteig umarmt mich die B.². Zwischen alten, hohen Bäumen laufen wir die Straße herunter, es gibt Wein und die B.² schmiert mir Brote, erzählt ein bißchen von Chorkonzerten und der Kirchengemeinde und zeigt mir Photos, auf denen sehr wenig Leute zu sehen sind und sehr viel Landschaft, Städte, die leer wirken und wie die Straßen, in denen man im Traum ohne Ziel und Eile die Fassaden entlang flaniert. „Schlaf dich erst einmal aus.“, sagt die B.², schickt mich Zähneputzen, löscht die Kerzen und lässt mich allein.

„Viel Spaß.“, wünscht die B.² sehr, sehr früh am nächsten Morgen, bietet zum dritten Mal einen Schal an, schiebt mir ein Butterbrot in die Tasche und setzt mich in die U-Bahn, die mich zum Hauptbahnhof bringt und dann weiter zurück an die Ufer des steten Stroms von Stimmen, Bewegung und Geräuschen.

8 Gedanken zu „Auf einer Insel schlafen

  1. Also doch noch geblieben! So müde kamen Sie mir gar nicht vor, Frau Modeste. Erwähnte ich schon, dass ich noch geblitzt wurde und man mir mein Auto des Nachts abschleppte? Ich steig jetzt auch auf´s Zugfahren um.

  2. REPLY:

    Nein, MC, solange ich unterwegs bin, geht das ja auch immer prächtig, zumal in so netter Gesellschaft. Was das Zugfahren angeht, ist das aber auch keine echte Alternative, obwohl ich eigentlich recht gern in der Bahn sitze. Allein.

  3. Nach der Lektüre dieser Zeilen möchte man sie höchstpersönlich förmlich in ein Flugzeug in wärmere Gefilde setzen, ihnen ein Unternehmungsverbot auferlegen und sie an einer Palme an einem nahezu einsamen Strand anbinden. Mit langer Leine versteht sich.

    MC, sei nicht so zutraulich. Du bist doch hier ein besserer Herr.

  4. REPLY:

    Angebunden an einer Palme im tropischen Nichts? Herr Burnston, dass kann nicht Ihr Ernst sein. Es geht auch schon wieder mit meiner Müdigkeit, heute abend geht´s wieder los, und Mittwoch dann hoffentlich in Topform. Gleichwohl, ein paar Tage irgendwo gar nichts tun wäre nett, vielleicht demnächst.

  5. Deart liebe Freunde gibts auch nicht von der Stange. Brote geschmiert bekommen! Finde ich total kuhel und lieb. Die besseren Verbindungen in norddeutsche Staedtchen fuhren eher aus Altona, denn aus dem Hauptbahnhof. Und dass Ausschlafen zu einer Art Luxus geworden ist i.d. dt. Gesellschaft bedeutet ja auch nur Ungutes.

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