Privatweltbilder

Ich habe selten ein freudloseres Kinderfest gesehen. Links und rechts der Straße des 17. Juni säumten ungefähr zwanzig Hüpfburgen den Straßenrand, türkische Lebensmittelhersteller boten Grillkäse feil, und gemeinnützige Organisationen boten kindgerechte Aufklärung über wichtige Probleme der Gegenwart und der Körperpflege. Mit einem Gesichtsaudruck, der zwischen mürrischer Pflichterfüllung und quengelndem Überdruß changierte, sprangen die Minderjährigen auf den Hüpfburgen herum. Alle Kinder waren ziemlich häßlich.

„Du kannst dir das nicht vorstellen,“, sage ich ein paar Tage später zum T., und beschreibe die bleichen, teigigen Kindergesichter und deren übergroße Hände und Füße. Normale Kinder waren fast gar nicht zu sehen. „Ist genetisch,“, meint T. und verweist auf die Tatsache, dass normale Eltern, in deren Genpool solche Nachkommenschaft gar nicht vorgesehen ist, derartige Volksbelustigungen nicht zu besuchen pflegen. Ich bestreite aus den Tiefen meines inzwischen vollständig verschleimten Hauptes eine genetische Prädisposition zur Normalität in jenem Sinne, in dem T. den Begriff gern verwendet. „Politische Korrektheit führt selten zum Ziel.“, meint T. tadelnd und verweist auf die britischen Inseln, auf denen weite Kreise der Bevölkerung ein wesentlich entspannteres Verhältnis zu jenen Axiomen hegten, die T. als Tatsachen betrachtet: Die verschiedenen Kreise der Bevölkerung Großbritanniens entstammten schlicht nicht demselben genetischen Pool. In Deutschland sei das bedingt durch jahrhundertelange politische Instabilität ein wenig anders, aber ein Blinder könne doch sehen, dass die durchschnittlichen Bewohner eines heruntergekommenen Sozialbaus in einem schlechtbeleumdeten Viertel der Stadt sich nicht durch ihren Kontenstand von anderen Menschen unterscheiden, sondern bereits optisch auffällig seien.

„Das ist die Ernährung. Und Haarschnitt und Kleidung.“, meine ich, und dass sich Dummheit ab einem bestimmten Alter auch in den Gesichtszügen ausdrückt, wenn die Leute eben einfach etwas zu oft ihre Haut in ziemlich dumme Falten gelegt haben. „Ich bitte dich – ganz unter erwachsenen Leuten.“, wischt T. Bedenken vom Teetablett und legt ein Weltbild dar, welches im wesentlichen auf einer Umdrehung des üblicherweise angenommenen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung im Erscheinungsbild und Habitus jener Menschen beruht, die dauerhaft der öffentlichen Fürsorge und minderwertigen Unterhaltungsangeboten anheimfallen. „Das kann man doch so nicht sagen.“, halte ich dem T. ein wenig geniert vor. „Das sind doch bloß die Denkverbote und Tabus des sozialdemokratischen Zeitalters.“, gibt T. als ein regelmäßiger Leser konservativer Frankfurter Periodika zurück, um sich alsbald zu verabschieden.

Und das, denke ich, ist noch das Privatweltbild eines promovierten Zeitungslesers. Wie die Privatweltbilder derjenigen aussehen, über die T. gerade spricht, mag man sich da gar nicht vorstellen – allerdings sprechen gewisse Anzeichen dafür, dass Verschwörungen, der Präsident der USA, und Erscheinungen, die man gemeinhin eher den Parawissenschaften zurechnet, in den Privatweltbildern der Deutschen ohnehin eine große Rolle spielen. Esoterik, Strahlungen, und ungesetzliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand zur Informationsgewinnung bezüglich der Bürger dürften auch beliebt sein.

Und wie die skurrilen Seiten des eigenen Privatweltbildes ausschauen, entzieht sich glücklicherweise der eigenen Betrachtung wie Bewertung.

8 Gedanken zu „Privatweltbilder

  1. Na ja, letztlich ist alles auf eine Verschwörung der Yankees (Millionäre von der
    US-Ostküste) mit den Gnomen von Zürich (Schweizer Bankiers) und den
    Bilderbergern (geheimes Netzwerk des europäischen Adels und diverser Topp-
    Diplomaten) zurückzuführen, die sich einen geheimen Krieg mit den Cowboys
    (Millionäre aus dem Westen der USA) und deren Verbündeten, den Yakuzas,
    den Viehverstümmlern, den Pferderippern und der Mafia liefern. OK, noch
    zu anspruchsvoll? Also, außer den Deutschen und den Ausländern, die, wie der
    Ali, der ja OK ist, weil der is Ausländer, aber von hier, also die OK sind, gibt
    es Batschakken, die sin aussem Osten und wollen alle zu uns und arbeiten für
    ganz wenig Geld, obwohlse eigentlich faul sind, und dann gibt es Kapalken,
    die sin von weiter weg und ham schwarze Haare und klauen, und dann gibbes
    noch Biftecken, die machen guten Gyros, graben aber unsere Frauen an, und
    Kanacken, die sin nich wie der Ali weil die ham keine Manieren, un Kuffnucken,
    die sin schwarz und verkaufen Drogen un klauen un sin faul, manchmal hasse
    Glück un gerätst an einen der iss zu faul um zu klauen….

    So etwa sieht das Weltbild ziemlich vieler Leute aus, fürchte ich.
    Ich hab genug davon kennengelernt.
    Und nenn mich nochmal einer Sozialromantiker!

  2. REPLY:

    Meistens wundert es einen ja nicht so sehr, wenn diejenigen Leute, die ihr Weltbild aus großgedruckten Postillen beziehen, komische Vorstellungen über die Welt hegen. Wenn ansonsten intelligente Leute merkwürdige Axiome über den Weltlauf äußern, hinterlässt das aber meist eher so eine Art Hilflosigkeit…wenn nicht mal Gedrucktes hilft.

  3. REPLY:

    Ja, ganz recht, ich habe zudem den Eindruck, dass die Fähigkeit, in größeren
    politischen Zusammenhängen zu denken un d dabei die Realität zu überprüfen,
    zunehmend verloren geht. In meiner Studienzeit gab es mal eine „Vereinigung
    zur Förderung des rationalen politischen Diskurses angesichts der herrschenden
    Verwirrung.“ Genau so etwas bräuchten wir heute!

  4. REPLY:

    Du hast ja recht. Aber das ist so …mühsam.

    Ich habe rationale politische Diskurse ja als zu anstrengend aufgegeben, lese die Zeitung nur noch zu Unterhaltungszwecken und gehe wählen, wenn ich gerade dran denke. Bis jetzt hat die Republik meine politische Apathie ganz gut vertragen. Manchmal denke ich sogar, es sollten noch viel mehr Leute jeglichem politischen Interesse abschwören, aber gerade diejenigen, mit den sonderbaren Vorstellungen über Gott und die Welt hören ja leider nicht auf, ihre Ansichten über sonstwas auch noch öffentlich zu verbreiten, weswegen der Rest aus Kompensationsgründen dann leider auch nicht aufhören kann, sich politisch zu betätigen.

  5. REPLY:

    Deinem Großen Vereinfacher T. sei zur Lektüre Edgar Zilsels „Die Geniereligion“ anempfohlen, in der Houston Stewart Chamberlain mit der Aussage zitiert wird – affirmativ, wohlgemerkt! – der „Germane fühlt und handelt, aber er denkt nicht“. (Aaaah-ja.)

    Vielleicht haben sich da ja zwei gefunden… ;o)

  6. REPLY:

    Nun, T. ist einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne, und von einer seltenen Belesenheit. Wenn er an Auffassungen festhält, die ich nicht teile, so ist es nicht an mir, ihn zu verbessern, oder ihm Tipps zu erteilen, sondern kann höchstens meine Irritation darüber kommunizieren, dass auch in den Gehirnen kluger Menschen die eigenen Annahmen über den Lauf der Welt nicht allgemeingültig sind.

  7. REPLY:

    Ich wollte T. auch keinen Lektüretipp über die Bande zukommen lassen, sondern vielmehr meine Belustigung über seine Thesen ausdrücken.
    Als frommer Konstruktivist sehe ich mich nur bestätigt: jeder sucht sich halt ein Set von Arbeitshypothesen, das kickt.

  8. Spielverderber

    @booldog: Set von Arbeitshypothesen, no way. Was ich nicht mit wissenschaftlicher
    Systematik hinterfragt und durch die Mühle von These – Antithese – Synthese
    georgelt habe, ist für mich nicht existent.

    Außer guter Sex, aber der ist per se dialektisch.

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