Es ist eisig in den Tilsiter Lichtspielen, und nicht nur meine Zehen verwandeln sich langsam in eine kalte, harte und brüchige Substanz. Auf der Leinwand rollt eine Menge irrwitzig verwandelter Schrott umher, ich lache ein wenig, und schiele zu meinem Begleiter, dessen Lachen mit zunehmendem Verlauf der Handlung eher etwas eindeutig Angewidertes annimmt.
„Hat dir der Film gefallen?“, frage ich auf dem Weg nach draußen, und er wiegt abwägend und ein wenig vorsichtig den Kopf. „Geht so.“, erfolgt als sparsame Antwort, und wir sprechen über etwas anderes. Vor der Tür schlägt mir die Kälte entgegen und schlägt kleine Krallen in mein Gesicht. „Willst du meine Jacke haben?“, fragt J², und als er zum zweitenmal fragt, auf der Frankfurter Allee Richtung Osten, nicke ich. Auch nicht viel wärmer.
Später, zwanzig frostige Minuten später, wärme ich meine Hände über der Kerzenflamme, wir sprechen über alte und neue Zeiten, und mit den Stunden leert sich der Raum. Als wir zahlen, fegt die Kellnerin den Boden.
„Weißt du, wie lange die Ringbahn noch fährt?“, fragt der Begleiter, und ich schüttele den Kopf. Keine Ahnung. „Wie lange lebst du schon hier?“, merkt er stirnrunzelnd an, und ich erläutere ein wenig meinen üblichen Bewegungsradius und die dazugehörigen Fortbewegungsmodalitäten, zu der die Ringbahn eher selten gehört. Als wir auf dem Bahnsteig stehen, ist die letzte Bahn weg, und der Weg einmal quer durch die Stadt weit.
„Du kannst mein zweites Bettzeug haben.“, sage ich, angekommen in der eigenen Wohnung, und dann: „Gute Nacht.“, beziehe das Sofa für Gäste und schließe hinter mir die Tür. Verdammt kalt ist es auch hier, seit Stunden steht die Balkontür offen, die ich vergessen haben muss, bevor ich irgendwann am Nachmittag das Haus verließ. Fröstelnd ziehe ich mir diese Nacht nur eine einzige Decke hoch bis unters Kinn.
Ach – damals, denke ich, und ergehe mich ein bißchen in sentimentalen Erinnerungen an die guten Zeiten mit dem vormals geschätzten Gefährten J. mit den warmen Füßen, den feinen Händen und einer weichen Schulter, den Kopf darauf zu legen. Mein Begleiter tappt derweil Richtung Bad, und so erinnere ich mich auch an ihn ein bißchen, an die guten Zeiten, die es ja irgendwann gegeben haben muss. So lange ist das her.
Minutenlang bleibt der Begleiter im Bad. Ob du kämest, wenn ich dich frage, überlege ich ein wenig, und bin mir nicht sicher. Wenn ich mir sicher wäre, denke ich dann, würde ich dann nach dir rufen? Auch, ob du dich gut anfühlen würdest, weiß ich nicht, und ob es nicht nur ein Ersatz wäre, für etwas, was es gerade nicht gibt, und was die Auseinandersetzungen nicht wert wäre, die nachkommen würden, und die Stürme in der Begleiterseele samt Begleiterbeziehung auch nicht.
Leise stehe ich auf und suche nach Socken.
Chapeau! -Modeste. Vernunft und hormonelle Wallungen Seite an Seite in meinem Bett, das hätte mich vor so mancher Misere bewahrt. Ich habe zum Geburtstag eine Robbie-Williams-Wärmflasche bekommen. Vielleicht versuche ich es mit der, wenn ich künftig in Versuchung komme. Statt Socken.
REPLY:
Das gefällt mir…
…sehr gut – die letzteren zwei Drittel hätten mir gereicht…
Es erinnert mich an einen Text, den ich vor langer Zeit geschrieben habe.
Ich verlinke ihn hier – wenn es dir nicht recht ist, dann lösch den Komment
Seifenblasen
Liebe Grüße
Damaris
http://mondkussl.antville.org
Wärmflaschen sind ganz prima Erfindungen, die einen vor Dummheiten bewahren.
Schmale Betten helfen auch
Tja, Vernunft…vielleicht auch bloß eine lästige Alterserscheinung.
REPLY:
Hmm, nie ist der Mut da, immer erst hinterher. Und dann vergehen Jahre und dann ists zu spaet. Per aspera ad astra…
Mit Komplimenten,
Socken sind manchmal die vernünftigere Alternative …
ach …
schön geschrieben …
schmunzelnd gelesen …
REPLY:
Herzlichen Glückwunsch zum Vorhang!