„Du hast ja an und für sich ganz schöne Zähne.“, sagt die Urlaubsvertretung und leuchtet mir in den Mund. „Mmmmh,“, antworte ich und betrachte an der Wand, patientenfreundlich etwas höher als angebracht als üblich, die eingerahmten Querschnittsdarstellungen kariöser Zähne.
Nie, denke ich beim Anblick des leicht angegrauten Sprechzimmers und des unrasierten Zahnarzthalses, wäre ich aus freien Stücken zu diesem Herrn gegangen, der mit einer mürrischen Sprechstundenhilfe sich nun anschickt, meinen Mundraum zu betäuben. Am Morgen jedoch, just beim Verzehr eines ohnehin eher deprimierenden Trockenfrüchtemüslis geschah es, dass eine harte Substanz, ein Steinchen vielleicht oder eine besonders harte Frucht eine der vielen Füllungen, die meinen Mundraum zieren, ihrer Stabilität beraubte. Die Füllung brach, ein bedenklich großer Teil fiel mir aus dem Mund, und ein wenig erschrocken – denn große Angst hege ich vor Dentalmedizinern – saß ich eine ganze lange Weile mit der Zeitung an der Hand am Frühstückstisch. Und meine Zahnärztin ist in Urlaub. In dringenden Fällen, ist dem Anrufbeantworter zu entnehmen, wende man sich bitte an besagten Herrn, der mir fröhlich duzend ins leere Wartezimmer entgegenkam.
„Was haste denn für´n Problem?“, frug mich der Zahnarzt und zog einen weißen Kittel aus einem Schrank in der Ecke. Meine Schilderung beantwortete der Zahnarzt mit einem freundlichen Grunzen und zog mich sodann auf den Zahnarztstuhl. Er, so der Zahnarzt, praktiziere seit mehreren Jahren eigentlich so gut wie gar nicht mehr. Für Tochter und Neffen jedoch mache er mehrmals jährlich noch die Urlaubsvertretung, auch sonst wohl für den einen oder anderen Kollegen, wie jene Dame etwa, der sonst die Sorge für meine Zähne obliegt. „Aaaah.“, sage ich und betaste mit der Zunge vorsichtig die nun taube Stelle. „Schöne Krone ham´se da.“, meint der Zahnarzt, und tippt mit einem hakenbewehrten Metallstab auf den Zahnersatz. „Jold hätt ick nich machen lassen.“, fährt er fort, während er die Füllmasse in den Zahn drückt. Schon in wenigen Jahren, fährt er fort, würde Zahnsubstanz einfach in den Knochen von Ratten nachgezüchtet werden können. Im Labor sei das heute schon der Fall, die kommerzielle Verwertung daher nur noch eine Frage der Zeit. Also wozu langlebige Füllungen und Kronen, Provisorium sei ohnehin alles.
Ob ich denn auch eine Zahnpasta benutze zum Aufhellen der Zähne, fragt er, und ich gebe zu verstehen, dass dies nicht der Fall sei. „Nützt eh nüscht. Bleaching!“, sagt der Zahnarzt da, und es klingt ein wenig triumphierend. Seine Tochter mache das dauernd, ohne weiße Zähne ginge ja heute nichts mehr. Er könne mir gleich einen Termin vermitteln bei der Tochter, günstig sei es auch. Die Tochter könne auch gleich einmal überprüfen, ob mit meinen Vorderzähnen denn gar nichts zu machen sei.
Hätte ich nicht einen Schlauch zum Absaugen im Rachenraum, so würde ich dem Zahnarzt die Vergeblichkeit einer langen kieferorthopädischen Behandlung erläutern, die mir über Jahre meines Lebens völlig ergebnislos eine vollgesabberte Zahnspange eintrug. Die Vorderzähne blieben schief.
„So,“, sagt der Zahnarzt, und wirft seinen Kittel durch die offenen Tür auf einen Stuhl im Vorraum des Behandlungszimmers. „Sind wa fertich.“ Ich nicke, lächele und greife nach meinem Trenchcoat. „Auf Wiedersehen,“, gurgele ich aus den Tiefen meiner Lokalanästhesie.
„Darf meine Tochter sich mal bei dir melden?“, fragt der Zahnarzt.
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