Ratschlag an den unbekannten Leser

Den einen oder anderen meiner geschätzten Leser kenne ich inzwischen persönlich, andere lese ich selbst und freue mich über ihre Kommentare. Den unbekannten Leser aber, den, der sich nie räuspert, sich nicht auf twoday anmeldet, um mir einmal mitzuteilen, wie großartig er mich findet, jenen unbekannten Leser eben, der stillvergnügt durch die blühenden Auen meines Leben schreitet – von jenem Leser habe ich mir stets, und wenn die Gelegenheit einmal danach war, ein recht positives Bild gemacht. Wer überhaupt willens und in der Lage ist, durch diese virtuellen Bleiwüsten ohne das klitzekleinste bunte Bild zu flanieren, und sich den Petitessen eines vorwiegend ereignislosen Lebens zwischen Patisserie Albrecht und dem 103 aussetzen mag, der kann kein schlechter Mensch sein, dachte ich so bei mir.

Heute jedoch, vor gut einer Stunde blinkt mein Mailaccount auf, und siehe da: Ein unbekannter Leser fasst sich ein Herz und gesteht mir seine geheimsten Wünsche. Der Leser ist so unbekannt, dass ich anhand des verwandten yahoo-accounts nicht einmal sagen, ob hier Mann oder Frau einen Wunsch loswerden möchte. Anhand der mir verliehenen weiblichen Intuition tippe ich aber einmal scharf auf ein Wesen ohne zweites X-Chromosom, welches mich im Anschluss an ein paar recht beliebige Komplimente um Folgendes bittet:

„Mehr S*exgeschichten und daß es mal mehr zur Sache geht. Hat Berlin da nicht mehr zu bieten? Wenn du soviel weggehst, wie du schreibst, muß da doch auch mal was passieren. Trau Dich!“

Wähnt jener Leser mich nun schon auf dem Weg zum Wäschegeschäft, um sodann unverzüglich und in verführerisch-transparente Hüllen gekleidet auf die Pirsch zu gehen, hat sich da aber jemand kräftig geschnitten. Angetan mit meinen üblichen schwarzen Pullovern, Jeans und den unsexiest Perlenohrsteckern überhaupt sitze ich hier, werde auch heute nacht die Bar meiner Wahl allem menschlichen Ermessen nach allein verlassen und rufe ins Dickicht der unbekannten Leser:

Ich bin doch nicht RTL 2! Wer glaubt, hier findet das große Wunschkonzert in der Kurmuschel statt, hat sich schwer in der Location geirrt. Sie, mein Herr, verhöhnen hier gerade in übelster Weise die Fußkranken des urbanen Liebeslebens. Fragen Sie gefälligst andere Leute nach ihren S*exgeschichten, in dieser Hinsicht ist beim Papst mehr los als hier.

Oder versuchen Sie´s einfach mal woanders.

8 Gedanken zu „Ratschlag an den unbekannten Leser

  1. Defloration des Wortes

    Das war das erste Mal, dass ich das Wort „Kurmuschel“ las. Obwohl so jungfräulich in meinem Ohr, erzeugte es ein klares Bild in meiner Vorstellung.

    Sauber, Frau Modeste, das hätte RTL II niemals hinbekommen! 😉

  2. Nur Perlenohrringe kann ich mir schon interessant vorstellen. Aber das steht ja alles gar nicht zur Debatte. Ich finde es ja sowieso andersherum schöner: Wenn Leser meine Wünsche erfüllen. Manchmal schickt man mir Schokolade, das ist rührend.

  3. ja, anscheinend denke manche tief des nachts, der name sei programm. entweder beschimpfung, abwertung oder anmache. kommt leider in letzter zeit häufiger vor. und inhaltlich zu abstrus, als dass man sich vorstellen möchte, dass solche leute wählen, heiraten oder zeugen dürfen… *bäh*

  4. Sie, ich bin auch ein unbekannter Leser, ich glaube sogar sagen zu können, dass ich – in aller Bescheidenheit – einer der unbekanntesten Leser der Welt bin. Von daher fühle ich mich durchaus prädestiniert, hier einmal für die großganze Gruppe unbekannter Leser im Insgesamten, ja eine ganze Generation von unbekannten Lesern sprechen, und angesichts der schon erwähnten Prädestination sage ich es Ihnen einmal kurz und bündig und ohne Umschweife und ohne lange um den heißen Brei herumzuschleichen und auch und sowieso ohne zu filibustern: Nichts, hören Sie, nichts, ja, gar nichts, aber schon weit und breit überhaupt nichts ist uninteressanter und langweiliger als Bettgschichterln, gell?. Wer das lesen will, der hat schlicht und ergreifend einen an der Klatsche, wissen sie, plemplem, trullatrulla! Also lassen Sie es weg, sonst lernen Sie mich am Ende noch kennen, damit wäre ich dann kein unbekannter Leser mehr, und eine ganze Generation verlöre ihre kräftigste Stimme.

  5. REPLY:

    Sie, Herr oder Frau Deef: »Defloration des Wortes«, das hätte RTL II auch nie hinbekommen. Auch die ARD nicht, selbst Phoenix kaum. Und irgendwie war man auch froh darüber, gell? Wissen Sie, so wie es Dinge gibt, die man einfach nicht sehen darf – man DARF einfach nicht, verstehen Sie? – so gibt es Dinge, die man auch nicht unbedingt hören will. So, nun muss ich leider schließen, das Leben ist schließlich kein Vergnügen!

  6. REPLY:

    Hallo Herr Poodle,
    danke für Ihre Worte. Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Herr. Aber das ist nicht nötig. Einfach Deef genügt.
    Ich mache mir nicht so viele Gedanken um dürfen und müssen. Vielleicht ist mein Leben auch deswegen fast ein Vergnügen. Aber ich wollte Ihres nicht unvergnüglicher machen und gebe zu, „Defloration“ war deplatziert.

    Friede? 😉

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