Madame Modeste in fünfzig Jahren

Heute in fünfzig Jahren liege ich noch im Bett. Ist ja gerade erst zehn. Auf dem Nachttisch dampft eine Kanne mit heißem Tee, auf der Fensterbank liegt meine Katze und schaut auf die Straße.

Der Esstisch ist gedeckt, auch wenn ich nicht mehr so viel essen kann. Ein bißchen Gebäck, ein weiches Ei, die Zeitung im Zeitungshalter, damit der alte Mann an der anderen Seite des Tisches sie nicht durcheinanderbringt, denn da bin ich eigen. Der alte Mann soll mir aus der Zeitung vorlesen und mir die Semmeln schmieren.

Am Vormittag gehe ich vielleicht zum Friseur, nachmittags treffe ich dann Freundinnen, die auch so alt sind, die Hündchen an der Leine, und den dicken Schmuck an Fingern und Ohren, den man jetzt noch nicht tragen kann, und schon ewig nicht mehr aus dem Schließfach geholt hat deswegen. Da liegt er nun, und wartet auf eine alte Frau. Dann ein Stück Schokoladentorte, ein Kännchen Tee und so eine kleine Étagère mit Pralinen und Petit Fours, wie es sie in Berlin gar nicht zum Tee gibt, sondern hier bloß in Potsdam im Café Heider, das bis in fünfzig Jahren bestimmt auch schönes Geschirr hat, und nicht dieses plumpe, dicke Porzellan. Aber vielleicht bin ich ja auch gar nicht in Berlin. Am Abend staube ich die Oper voll mit meinem Pelz, weil es dann ja egal ist, wie dick ich aussehe, und alte Frauen Pelze tragen dürfen.

Irgendwo in der großen Stadt, in der ich lebe, weil ich kleine Städte immer noch nicht mag, ist die Welt bestimmt ganz neu und finster, und ich verstehe sie nicht richtig, wenn ich in der Zeitung davon lese. Weil man im Alter ja konservativer wird, habe ich irgendwann die SZ abbestellt und lese seit Jahren die FAZ, die natürlich überhaupt so ist wie immer. Der alte Mann erklärt mir die Novitäten dann manchmal, aber ich höre schon nicht mehr gut zu, weil mich das nicht so interessiert, und Enkel habe ich ja keine.

Irgendwann liegt dann der alte Mann tot im Bett, ich warte vergebens am Frühstückstisch und schließlich kann ich nicht mehr alleine wohnen. Die Welt wird dann immer matter, glanzloser, und schließlich wird es alles egal sein und dann ist es aus.

„War´s gut?“, werden sie mich danach fragen und ich kneife die Augen wegen der Helligkeit und bin noch ein bißchen betäubt, weil es so lange gedauert hat und wegen der Schmerzen. Mit den Achseln zucken werde ich dann, wenn man da Achseln hat, und was dann kommt, werden sie mir schon sagen, wenn es ansteht.

11 Gedanken zu „Madame Modeste in fünfzig Jahren

  1. REPLY:
    Seufz

    Schön geschrieben, liebe Modeste, aber muss es so kommen? Ich kann das ja
    fast auf mich übertragen; OK, Pralinen werde ich nicht essen und die FAZ
    nicht lesen, aber Überschneidungen gibt es schon. Vielleicht lieber als Mittsiebziger
    (wenn ichs körperlich dann noch hinkrieg) aus einer Felswand stürzen, ehe
    die ganzen Zipperlein losgehen? In meiner Familie wird man 100, aber auf langes
    Siechen habe ich keine Lust.

  2. Heute in fünfzig Jahren…

    …werde ich mit der Harley unterwegs sein. Die ist so schön niedrig, da kommt man auch noch mit verschiedenen Zipperleins in den Sattel. Und den Parkinson, den erkennt man nicht mehr, wenn der Motor läuft. Ich muss mich ja fit halten, acht Jahre später lockt die Tour über die Route 66, mit 99 dann…

    Na, Frau Modeste, was meinen Sie, erschrecke ich Sie sehr, wenn Sie in Richtung Café unterwegs sind?

  3. Man kann sich ja auch langsam eingewöhnen.
    FAZ ist schon abonniert (zusätzlich).
    Und natürlich: der Frau nicht so viel Schmuck schenken – das sieht ja dann grotesk aus.
    Weitere einschneidende Maßnahmen fallen mir bestimmt noch rechtzeitig ein…

  4. „Ganz schön düster“, „morbide“ – hey, das ist schon der idyllische Entwurf von mir als alter Dame. Und ohne langes Siechtum geht es doch erfahrungsgemäß einfach nicht ab, außer man wird auf der Straße vom Pathologen totgekachelt. So wäre das Altsein doch ganz in Ordnung, oder? Gutes Essen, Freundschaften und nicht allein sein. Vielleicht wird man ja auch enmal sehr bescheiden, so ganz am Ende.

  5. REPLY:

    Das wollte ich auch sagen. Klingt urgemütlich, so mit Katze, Tee und Zeitung. Bis zu der Zeile, wo dieser „alte Mann“ ins Bild kommt, der nervt doch bestimmt nur mit seinem Gejanke.

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