Am Kollwitzmarkt stehen sie neben mir, kommen mir entgegen, schieben mir ihre Kinderwagen in die Kniekehlen, wenn ich nicht schnell genug bin. Die Paare sind vielleicht nur ein paar Jahre älter als ich, den Frauen sind pflegeleichte Frisuren gewachsen, den Männern wächst teilweise inzwischen sehr wenig Frisur, aber das ist es so wenig wie die robusten, warmen Kleidungsstücke, die sie tragen, weil es praktisch ist.
Vielleicht sind es die Blicke, dieses langsame, träge Schweifen, das nichts mehr hat von der Gier und der Angst vor dem ungelebten Leben, das sich in den Clubs von Mitte vergeblich an der fremden Haut festsaugt. Ihr gelebtes Leben sitzt brabbelnd und sabbernd im Kinderwagen, schwenkt ein Quarkbrötchen von Butter Lindner, und in dem Netz zwischen Wagen und schiebendem Vater hängen hochwertige Lebensmittel.
Es heißt, die Zeit ginge um so schneller vorbei, je älter man würde. Jedes Jahr sei wie das vergangene und wie das nächste dazu. Zum Schluss ersetzt eine gemütliche, vertraute Routine das leuchtende, fiebrige Pulsieren dieser Momente, in denen man glaubt, dass die Nacht niemals enden kann, weil der DJ so gut ist, dass die Bässe kreisrunde Löcher ins Gehirn gebrannt haben und man den Ausgang nicht mehr findet.
Irgendwann, so verheißen Bekannte mit Kind und fertigem Leben, werde jeder so wie sie. Die tickende Uhr habe noch jede geschlagen, wahres Glück würde oberflächliche Unterhaltung ersetzen, die immergleiche Vertrautheit eines verlässlichen Partners würde die Borderline-Liebe ablösen, vor deren Abgründen ihnen schaudert, und an deren Himmel sie nicht glauben, weil sie nie dort waren.
Mich kriegt ihr nicht, möchte ich sagen. Und dass ich das kleine Glück abgrundtief verachte. Ein Kinderblick wird für mich nie, nie den Wert des Blicks aus den Augenwinkeln eines schönen Fremden erreichen. Das angebliche Glück, jeden Morgen neben dem selben Mann aufzuwachen, habe ich schon das letzte Mal nicht ausgehalten.
Ich verachte dieses nachsichtige Lächeln, mit dem sie sich die Geschichten anhören aus einem Leben, das ihnen nicht gefallen haben kann, denn sonst hätten sie es nie aufgegeben für diese Idylle mit Kind im Hochstühlchen. Wem dieses Lebenssubstitut genügt, der isst auch Knäckebrot mit Vitam-R. Ich hasse euch, möchte ich über den Kollwitzmarkt brüllen. Und ich werde nie, nie so sein wie ihr.
Weltklasse
Knäckebrot mit Vitam-R. Wie kommst Du nur darauf. Was für ein wunderbar gewähltes Bild. Und wie eklig das doch ist.
Glaubensbekenntnisse
kann man auch wieder ändern, wenn die Zeit dafür reif ist. OK, Sie können Kindern nix abgewinnen, völlig nachvollziehbar, hab ich 40 Jahre lang auch so gesehen. Und jetzt seh ichs halt anders, und Ihr Hass lässt mich kalt, weil ich weiß, dass Hass auch immer nach außen projizierter Selbsthass ist. Warum sechs Absätze vollrotzen über ein Thema, das keines ist? Ob Sie sich je fortpflanzen oder nicht, das ist und bleibt mir so egal wie wenn am Bielefelder Bahnhofsimbiss ne Bockwurst platzt…
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Es ist Ihnen so egal, Mark, dass Sie es unbedingt kommentieren müssen?
Modeste, so von Kinderhasserin zu Kinderhasserin ein Blick in die Zukunft: Es wird Ihnen immer schwieriger werden, den Fortpflanzern und Fortpflanzungen auszuweichen. Sie werden sich mit der Zeit ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln holen, wie sich die Interessen Ihrer Umgebung Stück für Stück ins Biologische verschieben. Und lassen Sie sich mal besser sterilisieren: In meiner Umgebung gibt es mittlerweise zwei Kinderhasserinnen mit Kind. Bei der einen, einer universitären Literaturwissenschaftlerin, haben die Hormone brav ihre Aufgabe erfüllt: Statt über den Frontier-Mythos gibt sie jetzt Seminare über das Kinderbild in verschiedenen literarischen Epochen. Die andere ist Kinderhasserin geblieben und quält damit ihre nun wirklich unschuldige Tochter.
Am besten, man überlässt das Kinderbekommen den Gorillas
ps: hoffe, Sie hatten ein kinderfreies WE.
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@ Mark793: Ob Ihnen egal ist, ob ich mich fortpflanze, ist mir wiederum gleichgültiger als Leben auf dem Mars. Dieses Blog, werter Herr, ist indes mein Blog, in dem ich der interessierten Öffentlichkeit ausschließlich meine Sicht der Dinge vorführe. Was auf diesen Seiten ein Thema ist, bestimme ich daher ganz allein. Sinn und Zweck dieses Blogs ist dabei keineswegs die Mission zur Verbreitung meiner ganz persönlichen Weltsicht. Wer meine Sicht der Dinge nicht teilt, sei willkommen. Aber wen meine Sicht der Dinge nicht interessiert, der soll sich woanders amüsieren.
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@modeste:
Da hab ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt: Ich fand Ihr Plädoyer mitnichten uninteressant, sonst hätte ich es nicht kommentiert. Liegt mir aber fern, Sie für das Projekt Fortpflanzung begeistern zu wollen. Es gibt jede Menge nachvollziehbare Gründe, das bleiben zu lassen. Zumindest bis Sie die Ihre jetzige Existenzform ausgeschöpft haben. Solange noch Sprit drin ist im Tank, geben Sie Gas, geben Sie sich die Kante. Schöpfen Sie es aus. Und wenn es nie aufhört so zu sein wie es ist, umso besser. Das wollte ich damit sagen. Kosmisch betrachtet hängt überhaupt nix dran, ob Sie sich fortpflanzen oder nicht – egal, was Ihre Verwandschaft oder Ihr Kollegenkreis oder wer auch immer sagt. Die Wahrheit über Ihr Leben wissen nur Sie selber.
Und ich werde nie, nie so sein wie ihr.
Es geht im Leben nicht darum, wie jemand zu sein oder nicht wie jemand zu sein, es geht darum seinen eigenen Weg zu finden. Das kann mit oder ohne Kind sein. Wer sich an anderen – positiv wie negativ – orientiert ist auf dem besten Weg, im Reihenhaus oder beim Therapeuten zu landen – oder beides.
Nachtrag:
Ich hasse euch
Hass ist der schlechteste Begleiter auf dem Weg zum eigenen Leben.
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Schön,
daß Sie das erkennen und sich nicht fortpflanzen. Langeweiler gibts wirklich genug.
Es liegt am falschen Umgang mitder Sache. Mein Kleiner schläft auch in der Bar locker in jeder Ecke leider konnte ich ihn als Säugling nie dazu bewegen irgendwelchen Langeweilern mal so richtig in die Jackentasche zu kotzen.
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Immer wieder erstaunt und erfreut mich ja die Reaktion auf freudig-selbstgewählte Kinderlosigkeit von jenen Menschen, die ganz genau wissen, wie der falsche Umgang mit irgendwas aussieht und deswegen komplett alles richtig machen mit ihren sehr korrekten Lebensentwürfen. Machen Sie bitte weiter so. Aber setzen Sie sich mit ihren Kindern auf dem Arm in der Bar bitte nicht neben mich. Und versichern Sie sich gut, falls Ihr kleines Lebensglück mir tatsächlich in die Jackentaschen vomieren sollte.
Ich brüte (haha) gerade über dem Formblatt für asoziale Kinderlose für die KSK (und überlege, ob diese verschachtelten Bedingungen nicht auch zwei Jahre mit Beutekind als veritable Erziehungsleistung abgelten) – und denke, mein Gott, macht mir denn keiner ein Kind?
mir sagte ja mal eine, ich solle mir mal überlegen, warum das so sei (daß keine ein Kind mit mir wolle), dabei stand das früher nie zur Debatte. Dann hätte ich es mir doch vorstellen können, wurde dann aber Jammerblogger. jetzt habe ich also wieder keine Zeit und denke nur noch selten daran.
Für mich kann ich diesen Fortpflanzungswillen nicht völlig ausschließen, würde es aber schon gerne tun, solange ich das Kind noch heben und folglich vom Besudeln fremder Jacken abhalten kann (gerne auch meine eigene Müller-Wipperfürth).
Lebenseinstellungen, vor allem die festen, können schwanken, insofern muß man den Rat der Kaltmamsell wirklich ins Auge fassen, will man sichergehen. Mit Haß würde ich der Sache aber wirklich nicht begegnen. (Mir als Mann schafelt aber bei dem Thema auch so leicht keiner mit fragenden, forschenden Augen die Tasche voll.)
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Ich kann Frau Modestes Furor verstehen, dabei gehöre ich zu denen, die Kinder
woll(t)en. Mir sind Frauen, die keine möchten und sich dazu bekennen, lieber als die, die nur in die Mutterrolle flüchten, weil ihr Job gerade zu anstrengend oder ihr Leben langweilig ist. Weil sie Torschlusspanik haben oder sie glauben, eine bestimmte Rolle ausfüllen zu müssen.
Früher hatte ich ‚mal eine Nachbarin, bei der wohl die meisten dieser Beweggründe zutrafen. Doch dann waren die Kinder eher lästig. Als der ältere Sohn anfing, mit Fremden zu sprechen, waren seine ersten Worte „Hallo“ und „Achtung“, die kannte er am besten. Der Jüngere bekam später ständig „Du Schwein“ zu hören. Bevor er sprechen lernte, zog ich fort.
Ich kenne diese Fragen auch – „Warum haben Sie keine Kinder?“ oder gar „Bereuen Sie das nicht?“ Kenne diesen falschen Ton, den unterschwelligen Vorwurf und den Rechtfertigungsdruck, dem man sich plötzlich ausgesetzt sieht.
Warum habe ich also keine Kinder, obwohl ich das für mich nicht ablehne?
Weil nur einer bei mir diesen Punkt erreicht hat, an dem man innerlich das bedingungslose Ja sagt, das für mich notwendig ist. „Diese ganz bestimmte Form von Liebe, die tiefer geht als alles andere“, wie es eine Freundin einmal nannte. Diesen Mann hätte ich sogar auf der Stelle geheiratet. Ungeküsst.
Den anderen Männern gegenüber aber benutzte ich die Standardausflüchte: „Jetzt noch nicht, weil…“ oder „Später, wenn…“, die Frauen ganz gerne von sich geben. Fast alle haben das geschluckt, nur einer ahnte wohl die Wahrheit: Dass ich ihn nicht genug liebte.
Wohlgemerkt, ich spreche nur von mir. Keinesfalls von Frau Modeste. Der ich die freudig-selbstgewählte Kinderlosigkeit ohne Fragen und von Herzen zugestehe.
@ mark
hut ab vor der punktgenauen analyse
@ modeste
wenn du glück hast, findest du noch deine abfahrt. etwas zeit bleibt dir noch… wenn nicht, na dann viel spass auf deiner autobahn. irgendwie, glaube ich, weißt du das sowieso schon.
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Soviel Selbstgerechtigkeit macht sicher sexy, Herr 123.
Fallen Sie mal bloß nicht vom Pferd.
Die Babyrassel als überdimensionierte Liebeskugel.
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Glückwunsch, Modeste, für diesen Beitrag!
Ja, das erlebe ich auch immer wieder. Kürzlich, beim Fitnesstraining, hörte ich, wie da
eine Endzwanzigerin und Volontärin einer großen Zeitung einer Trainigspartnerin
erzählte, also dass der **** mit seinen35 Single sei, dass sei suspekt, mache ihn
unglaubwürdig und ließe ihn unreif erscheinen, in dem Alter sollte man seinen Platz im
Leben gefunden haben. Ich meinerseits bin Anfang 40 und habe diesen Platz gefunden:
Er besteht daraus, mich täglich neu zu erfinden.
In meinem Alter eine Familie gegründet zu haben und in einem Job zu sein, den ich bis zum Ende meines Lebens mache, erschiene mir furchtbar und ist weit weg von meiner Lebensrealität.
Manchmal denke ich, viele Leute, die
sich auf Dauer binden, sind nur zu feige und zu bequem, das tägliche Abenteuer des
Jagens und Sammelns, der Balz, des einander und sich selbst neu Kennenlernens
mitzumachen. Nichts gegen Kinder – aber alles gegen diesen eingelullten
Junge-Eltern-Einheitsbrei.
der Herr „Zeller“ bringt es auf den Punkt: