Gestrickt

„Wartet Ihr noch auf jemanden?“, fragt ein Mann und fährt sich mit der Hand durch die sorgfältig verstrubbelten Haare. Meine Freundin deutet einladend auf den leeren Hocker auf der anderen Seite des Tisches, der Mann setzt sich und schaut von Zeit zur Zeit zur Tür. Irgendwann setzt sich ein anderer Kerl zu ihm, ebenso strubbelig, auch in schwarz, von dem ersten anhand der schwarzen Brille aber gut zu unterscheiden.

Der Verspätete scheint etwas unternehmungslustiger zu sein als sein brillenloser Kumpel. Aus einem an ausladenden Gesten reichen Gespräch heraus dreht er sich zu uns an der Wandseite des Tisches um und spricht Worte, von denen aufgrund des Lärmpegels auf unserer Tischseite nicht einmal ein fragmentarischer Rest ankommt. Ich lächele, zucke die Schultern und brülle meiner Freundin weitere Einzelheiten einer langen Geschichte zu.

Der Brillenträger deutet lachend auf seine Ohren und beginnt in seiner Tasche zu wühlen. Seit Jahren rätsele ich, was Männer in diesen riesigen Freitag-Taschen eigentlich mit sich durch die Nacht schleppen, und wieso es dieses Transportbedürfnis noch vor wenigen Jahren offensichtlich nicht gab, als ein Mann alle seine Utensilien in Jacken- und Hosentaschen verstauen konnte und sollte.

Eine repräsentative Antwort auf diese Frage vermag der Brillenträger offensichtlich auch nicht zu vermitteln. Aus seiner Tasche zieht er irgendwas Wollenes, vage viereckiges und hält es uns mit einer etwas verunglückt eleganten Geste unter die Nasen. Ich habe keine Ahnung, was das Strickwerk bedeuten könnte und fürchte zum Opfer einer eklektischen Miniaturausstellung zu werden. Erfahren im Umgang mit den hoffnungslosen Kunstjüngern von Mitte nehme ich das Ding einen Moment in die Hand, prüfe mit zwei Fingern die Textur, lächele den Mann an und reiche es nickend wieder über den Tisch. Dann wende ich mich mit ernster Miene wieder meiner Freundin zu.

Der Brillenträger ist hartnäckig und wühlt weiter in der Tasche. Als er gefunden zu haben scheint, was er sucht, zieht er ein nun ausgefülltes Strickviereck nach oben. In dem mit einem psychedelischen Muster versehenen Stricküberzug steckt ein I-Pod. Ich bedeute dem Mann kopfnickend meine Zustimmung. Großartig, nicke ich, darauf hat die Welt gewartet. Verbale Zustimmung dagegen könnte ich nicht einmal dann ausdrücken, wenn ich wollte, denn es ist, wenn dies überhaupt noch möglich war, noch lauter geworden.

Dem Brillenträger scheint das Maß meiner Begeisterung auszureichen, und um den konzeptuellen Hintergrund des Projekts „Stricküberzug“ zu erklären, quetscht er sich neben mich auf die Bank. Der Stricküberzug, erfahre ich, sei das Werk einer befreundeten Künstlerin. Die Stricküberzüge seien extrem individuell, sie würden durch das ausgewählte Material und den Kontext ihrer Verwendung eine Qualität erreichen, die im Rahmen von Gebrauchskunst selten sei. Die Künstlerin, schreit uns der Brillenmann in die Ohren, habe das Konzept ganz unbefangen entwickelt. Erst er habe erkannt, dass hier Chancen der Vermarktung existieren, von denen wir nicht glauben dürfen, dass sie dem Kunstwerk an sich seinen Kunstcharakter nähmen. Überhaupt sei er der Ansicht, Kunst und Kommerz bildeten keinen Gegensatz! Von der Radikalität seiner Äußerung berauscht, schaut uns der Brillenmann triumphierend in die Augen. „Wir müssen jetzt mal,“ sagt meine Freundin, und schaut auf die Uhr. „Was geht denn noch heut´ nacht in Mitte?“, fragt der Brillenträger. Meine Freundin behauptet eine Privatparty und wir greifen nach unseren Jacken.

Als ich hinter meiner Freundin an den beiden Männern vorbei zum Ausgang gehe, hält mich der Brillenträger kurz am Ärmel fest und hält mir aufmunternd eine Art Visitenkarte entgegen, auf der links neben den Namen ein I-Pod Stricküberzug prangt.

18 Gedanken zu „Gestrickt

  1. REPLY:

    Über eine Förderungskultur, die für die Produktion gestrickter I-Podschützer Geld über hat, sollte man sich auch mal grundsätzlichere Gedanken machen. Ob irgendwer die Dinger auch kauft?

  2. REPLY:

    *lol*
    so war das gar nicht gemeint!
    mögliche varianten wären:
    – pod? pot? ist das was zum kochen?
    – wer kein iPod brauch, brauch auch kein strickzeuch.
    – I? steht das für EGO?

  3. REPLY:

    Das „i“ in iPod oder iBook steht natürlich für:

    „i“ch wäre so gern ein stilvoller lässiger Kreativer, aber leider hat es nur zu einem Versager mehr auf der Kastanienallee gereicht.

    Mit dem iPod kann man unterwegs Musik hören. Ich würde die Apple-Seite gern verlinken, weiß aber nicht, wie das in den Kommentaren geht. Vielleicht tut´s ja jemand anders.

  4. REPLY:

    *LOL*
    auch so wars nicht gemeint. :-))) ich seh schon, meine leicht unterkühlte ironie kommt heute ganz besonders schlecht rüber.

    natürlich weiß ich was die dinger tun, und ich bewundere schon langelange die vielen kreativen I’s mit ihren hübschen weißen stöpseln im ohr. ja. und wo sie jetzt noch diese traumhaften überzieher entwickelt haben. *seufz*

  5. REPLY:

    Ach, Frau Engl – ich bin heute irgendwie ironiefreie Zone. Hoffentlich muss ich heute nicht mehr sprechen, das kann ja nur schiefgehen. Ich fürchte allerdings, es wird sich nicht vermeiden lassen. Wenn möglich, fahre ich im nächsten Urlaub ganz alleine zum Mond, selbstverständlich mit einem astronautenanzuggeschützten iPod.

  6. REPLY:

    Nein, nein, solche waren es nicht. So selbstgestrickte Teile mit Applikationen und bunten Mustern, teilweise mit Berlin-Motiven oder Motiven mit sexuellen Bezügen oder Darstellungen aus der Tierwelt. Interesse?

  7. REPLY:

    Nein, ich glaube, er wollte weniger verkaufen als sich vielmehr ein bißchen wichtig machen. Versuch am untauglichen Objekt, würde ich mal so sagen, aber ich kann der interessierten Öffentlichkeit gerne die Kontaktangaben zukommen lassen, wenn ich das Kärtchen noch finde.

  8. REPLY:

    oh, ja – wichtig machen.
    da gibt es auch verschiedene versionen:
    – eigentlich bin ich ja architekt.
    – eigentlich bin ich ja schriftsteller.
    – eigentlich bin ich ja putzfrau.
    was geht wohl am besten?

  9. REPLY:

    Ich kann Dir sagen! Dabei wäre ich eine hervorragende Hausfrau, solange ich nichts im Haushalt machen müsste. Ich kann kochen, Leute einladen, Gedichte lesen und ich wäre sogar bereit, Hauskonzerte zu veranstalten und stundenlang auf dem Diwan zu liegen, aber der Bedarf an Hausfrauen ist gegenwärtig komplett am Boden, und wenn mal eine Stelle frei wird, bekommt sie immer jemand anders.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken