Die Verdammung der 68´er, die ihre Chefsessel einfach nicht räumen wollen, ist ja derzeit sehr en vogue – und so angesagt, dass man sich kaum beteiligen möchte. Nun tritt man in diesem Falle ja keinen Fallenden, im Gegenteil, und so seien nach einer ganzen Reihe von Gesprächen doch ein paar Worte über Sophie Dannenbergs „Bleiches Herz der Revolution“ verloren. Ober besser: Über ihr sujet. Denn das Buch ist schlecht, zu holzschnittartig und alles in allem…nicht sehr interessant.
Kein Zweifel besteht, dass die Autorin keinen ganz kleinen Splitter jenes Zauberspiegels ins Auge bekommen hat, der die Betrachtung auf bekannt unangenehme Art und Weise verzerrt. So war sie nun auch wieder nicht, die befreite Kindheit und Jugend. Oder sagen wir: So war meine Kindheit nicht. So flach und eindimensional sind weder meine Eltern noch ihre Freunde jemals gewesen. Und der Traum von Glück und Freiheit in einem postrevolutionären Arkadien ist mir angenehmer als der Traum von Benz und Villa. Dass es bei den meisten letztlich ein renoviertes Bauernhaus und ein Saab geworden ist…geschenkt.
Besonders antiautoritär war die befreite Kindheit allerdings nicht. Der im Buch beschriebene Befreiungszwang fand im Hause meiner Eltern zwar nicht in dieser Form statt. Der Zusammenprall zwischen den Erwartungen der Erwachsenen und den Möglichkeiten eines Kindes bleibt wohl keinem Kind erspart. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Erwartungen einer konservativen Erziehung und dem familiären Befreiungskonzept dürfte allerdings in der Tatsache liegen, dass sich die konventionelle Erwartung im wesentlichen auf äußere Umstände richtet. Sofern Schulleistungen und sportliche Erfolge einigermaßen hinhauen und die Nachbarn sich nicht beschweren, ist für den Vorstadtrotarier die familiäre Welt in Ordnung. Die Persönlichkeit des eigenen Nachwuchses dagegen ist ihm in aller Regel schon aus Phantasielosigkeit komplett egal.
Der Versuch, die Befreiung des Menschen am eigenen Nachwuchs auszuprobieren, soll prächtige Ergebnisse gezeitigt haben – allerdings nicht bei mir. Ob man diesen Misserfolg dem Konzept vorwerfen kann, oder mein etwa vierzehnjähriges Selbst einfach befreiungsresistent war – ich kann es nicht mehr sagen. Ich war einfach nicht Pippi Langstrumpf. Ich war nicht laut, frech und rebellisch. Ich war krankhaft schüchtern und äußerst kompliziert und habe mich für so gut wie alles geschämt. Insbesondere für die eigene Kompliziertheit, von der ich annahm, sie stünde mir aus irgendwelchen Gründen nicht zu. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich zwischen zwölf und 22 unsichtbar gewesen. War ich aber leider nicht.
Wieso die Befreiung der eigenen Körperlichkeit dermaßen schiefgegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe nie ein selbstverständliches Verhältnis zum nackten Körper entwickelt. Und jeder, der unbekleidet durch unseren Garten gelaufen ist, hat mir nicht die Freude am eigenen Körper vermittelt, sondern das Gefühl einer Schamverletzung. Ich würde niemals eine gemischte Sauna aufsuchen und nicht nackt baden. Und die gönnerhaften Komplimente meiner Onkel und diverser Gäste für meinen Körper, gehören zu den peinlichsten Erinnerungen meiner Kindheit. Allerdings habe ich auch nicht den Mumm aufgebracht, als einzige einen Badeanzug zu tragen. Klar, dass es mit dem Ausleben einer entspannten Sexualität entsprechend auch nicht geklappt hat. Zum einen wollten nie diejenigen, in die ich verliebt war, das Reich der Erotik mit mir erobern. Zum anderen hat die Überfrachtung des Sexuallebens als eines Refugiums absoluter Freiheit und unglaublicher Ekstasen bei mir in erster Linie einen Leistungsdruck ausgelöst, der der ganzen Angelegenheit nicht gutgetan hat, als es dann soweit war.
Ob der pädagogische Misserfolg dem Konzept antiautoritärer Erziehung zur Last gelegt werden kann, dürfte allerdings eher zweifelhaft sein. Vielleicht bin ich einfach so. Vielleicht ist die Erziehung für die persönliche Entwicklung einfach ziemlich egal. Vielleicht liegt der einzige Sinn der Pädagogik in dem Bemühen, die Jahre, in denen man so ausgeliefert ist, wie später nur noch in der Liebe, nicht über Gebühr quälend zu gestalten.
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