Fleisch

Es ist also kurz vor zehn am Freitag abend, und K. steht vor der Tür. Krankenbesuch. Er hat ein paar Flaschen Bier mitgebracht, setzt sich aufs Sofa, wirft die Krawatte auf den Boden und beginnt zu erzählen. Gegen den K. spricht eigentlich alles, ein süddeutscher Burschenschaftler mit fiesem Dialekt, Insolvenzverwalter und Muttersöhnchen, aber bis vorgestern mochte ich den K., und so holte ich Schokolade aus dem Schrank, setzte mich neben ihn und hörte ihm zu.

Vermutlich haben mir die Frauenzeitschriften den Rest gegeben. Ich hatte so einen Schlafanzug an, grün-beige gestreift, und darüber einen Bademantel. Ab und zu griff ich mir heimlich, so dass K es nicht sehen konnte, in die Oberschenkel. Ganz schön fleischig.

K. erstattete detaillierten Bericht über die Ereignisse im K.´schen Kosmos der Woche, aber irgendwann, zwischen getürkten Listenanmeldungen und dem unfähigen Insolvenzgericht übermannten mich die Selbstzweifel. Ich öffnete den Mund und sagte:

„Findest du mich eigentlich attraktiv?“

K. sagte nun gar nichts mehr. Die Selbstzweifel brausten und blubberten, ich flüchtete ins Badezimmer, und als ich wieder ins Wohnzimmer kam, war K. nicht mehr auf dem Sofa. Statt dessen saß er im Schlafzimmer auf meinem Bett. In Unterwäsche. Sein Anzug hing ordentlich, Falte auf Falte, über dem Stummen Diener und K. sah mich erwartungsvoll und etwas unsicher an. Den Badezimmeraufenthalt musste er falsch verstanden haben.

Ich drehte mich um und ging. Ich verließ die Wohnung, klopfte bei meiner Nachbarin und sah den letzten Rest von „Jenseits von Afrika“ auf DVD. Robert Redford starb, die Farm brannte und ich ging wieder in meine Wohnung. Es war inzwischen ziemlich spät. K. war noch da. Allerdings wieder voll bekleidet, sogar die Krawatte hing am Hals.

Ich setzte mich wieder aufs Sofa, K. saß mir gegenüber und ein paar Minuten sagte keiner irgendwas. Dann öffnete K. noch ein Bier und setzte die Unterhaltung fort. Insolvenzverschleppung also.

Als er gegangen war, schwor ich mir, mich nie, nie wieder zu beschweren, ging ins Bett und schlief wahnsinnig gut.

Irgendwann, viel zu früh, weckte mich das Telefon. Mein Vater. Auch er, so hob er an, sei gerade erst aufgewacht, und zwar im Zustand einer hochgradigen emotionalen Erregung. Er habe geträumt – nein, das könne er nicht sagen. „Sei ein Kerl.“, herrschte ich ihn an. In Vaterbeherrschung bin ich ziemlich gut. Er räusperte sich und sprach:

Er hatte geträumt, wir säßen im Garten. Es war Sommer, und die Apfelbäume blühten und mein Vater erwartete Besuch. Er stand am Grill, als der Gast neben ihn trat.

Mein Vater drehte sich um, Reichsminister Goebbels stand neben ihm und er hatte Fleisch mitgebracht.

2 Gedanken zu „Fleisch

  1. An der Stelle

    „und schlief wahnsinnig gut“ muß ich unwillkürlich an eine Stelle aus dem „Anhalter“ denken. Als Zaphod Beeblebrox den galaktischen Durchblicksstrudel verläßt, stellt er fest, daß er wahnsinnig glücklich ist.
    Bis dahin hat Ihre Geschichte einen mitreißenden Drive, danach macht sie mich ratlos. Ich kriege die Kurve nicht von Ihrem Fleisch über das des Herrn K bis zum grillenden Propagandaminister.
    Oder doch? Hm. Und worüber wollen Sie sich nie wieder beschweren?

  2. REPLY:

    Ja, hätten auch zwei Geschichten sein können. Zusammengehalten werden die beiden Teile der Story nur druch die Tatsache, dass sie sich auf dieselben zwölf Stunden meines Lebens beziehen.

    Sich über sein Aussehen zu beschweren, bringt offenbar selbst dann nichts als Scherereien, wenn man sich tatsächlich im Spiegel nicht leiden kann. Ob ich K. jemals wieder anrufe, ist äußerst zweifelhaft.

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