So eine Erkältung hatte ich zehn Jahre nicht. Mit den Geräuschen, die ich von mir gebe, könnte man eklige Scherzartikel ausstatten, so kleine Döschen, aus denen dann statt einer Plastikballerina und „Für Elise“ in der Spieluhrversion bloß ein widerliches Röcheln dringt.
Immerhin reicht es schon wieder zum Lesen. So rufe ich gestern abend einen unweit residierenden Freund an, und bitte ihn um einen Büchereinkauf. „Was soll´s denn sein?“, werde ich gefragt, ich verlasse mich voll auf seinen guten und meist gleichgerichteten Geschmack, und zwei Stunden später steht er mit einer vollen Einkaufstasche Bücher und Kuchen vor der Tür.
Ich packe Nootebooms „Philip und die anderen“ aus, freue mich über Friedells „Kulturgeschichte Griechenlands“, und ziehe die Decke ein bißchen höher, während T. in der Küche nach Tellern sucht. Der überaus empfehlenswerte, kaum zu übertreffende, hervorragende Kuchen, der russische Tee mit Rum – für ein paar Minuten ist das Leben schön, Erkältungsoptimalfall.
Aber dann frage ich T. nach den Hintergründen seiner literarischen Auswahl. – Ein paar Bücher hätte ich schon besitzen können, einige andere würden mir vermutlich missfallen, und für einige ihn interessierende Werke sei ich schlicht zu prüde. Oha. Ich stopfe mir den Rest einer Tarte Tatin in den gschwollenen Rachen und versuche, nicht allzu betroffen zu wirken. T. spinnt doch, sage ich laut im Badezimmer. Ich liebe nicht nur im Dunkeln, ich habe noch keinen Film wegen nackter Haut verlassen, und dass ich mich nicht gerne nackt oder wenig bekleidet zeige, liegt nicht an übertriebenem Schamgefühl.
Ein wirklich durchschlagender Umstand, den ich T. bei seinem nächsten Besuch um die Ohren hauen könnte, fällt mir allerdings auch nicht ein. Vermutlich hat er, gemessen am T.-schen Maßstab – recht.
Aber ist das ok? Bin ich vielleicht einfach konservativ in einer etwas entgrenzten Welt, von der mit Vergnügen lese, aber über die ich – und soweit hat T. eben recht – nicht einmal laut sprechen kann? Oder werde ich langsam zu einer spinösen alten Jungfer, die sich mit den Jahren umwenden wird, wenn sich an der Ecke zwei Hunde paaren? Könnte, sollte, würde ich besser etwas dagegen tun? Und wie sieht das große Anti-Prüderie-Trainingsprogramm aus? Und nicht zuletzt – was habe ich davon?
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