Havelland

Dann aber wische ich mir die Äste aus dem Gesicht und halte den F. ganz fest, damit er nicht von der Bank fällt, denn der Traktor schaukelt nach rechts und nach links, immer quer zu den Feldern, und der F. dreht den Kopf so weit er kann, damit ihm keine Kuh, keine Gans und kein Strauch voll Holunder entgeht. Den J., den S. und die M.2 kann ich schon gar nicht mehr sehen, die hinter uns am Karolinenhof warten, und ich blinzele in das gelbe, herbstliche Licht.

Schön ist es hier, atme ich ein und drücke den F. fester an mich, der vor Vergnügen neben mir auf der Bank ein klein wenig hüpft. Schön war es in Ribbeck heut‘ morgen, kräftig und warm das Gulasch auf den Bänken auf dem grünen Gras, lustig und spät der Samstag mit der C. und der J.

Jeder könnte es schön haben, denke ich mir, denn das grüne Gras, das Licht, Käse, Liebe und Wein: Das gibt es doch für viele. Warum denn Leute Ärger anfangen und alles kurz und klein schlagen, weil sie es wichtig finden, dass ihr Landkreis zum einen und nicht zum anderen Land gehört. Wieso es wichtig sein soll, dass die Nachbarn oder das ganze Nachbardorf irgendwelche religiöse Fragen richtig auslegen. Wie ihre Frauen sich anziehen, ob die Straßenschilder nun in der einen oder anderen Sprache beschriftet sind: Als wär‘ das nicht alles egal. Als wäre das ständige Rumoren nicht eine Sünde gegen den Segen der Erde, dumm und frech noch dazu. Als sei es nicht genug, an einem Sommertag, einem der letzten im Jahr, am Ende der Welt durch die Felder zu fahren.

Schwer tragen die Bäume am Obst, und die Schwalben ziehen ein letztes Mal übers satte, ermüdete Land. Schon sind wir zurück. Der F. drückt seine Kopf gegen meinen Arm und steigt freudig vom Hänger. „Etz Ponyreiten!“, läuft er zu den beiden hübschen, wartenden Pferden, und ich wische die schwarze Gedanken aus meinem Gesicht. Heute ist es noch schön.

(Möge es immer so bleiben.)

4 Gedanken zu „Havelland

  1. Warum können wir nicht einfach das Leben genießen? Weil immer noch in zu vielen von uns alte Prozesse ablaufen. Und es sind ja nicht nur die Männer, die stumpf ihrem biologischen Ritus folgen, auch die Frauen fahren ja größtenteils immer noch auf die Alpha-Männchen ab. Siehe auch http://lebenskunst.me/archives/400

    Und zu der Sache mit der Religion: man mag Ayn Rand mögen oder nicht, aber ihren John Galt hat sie so manches Wahre sagen lassen:

    „Ja, dies ist die Zeit einer moralischen Krise. Ja, ihr erleidet die Strafe für eure Schlechtigkeit. Doch es ist nicht der Mensch, der vor Gericht steht, und nicht die menschliche Natur wird für schuldig befunden werden. Es ist euer Moralkodex, der am Ende ist. Euer Moralkodex hat sein Ziel erreicht, die Sackgasse, in die er führt. Und wenn ihr weiterleben wollt, dann müsst ihr nicht zurückkehren zur Moral – ihr, die ihr nie eine Moral gekannt habt -, sondern sie entdecken.

    Ihr kennt nur mystische und soziale Moralbegriffe. Man hat euch gelehrt, Moral sei ein Verhaltenskodex, der euch aus einer Laune heraus auferlegt wurde, einer Laune himmlischer Mächte oder einer Laune der Gesellschaft, um Gottes Plänen zu dienen oder der Wohlfahrt eurer Nachbarn, um einer Autorität jenseits des Grabes zu gefallen oder den Leuten nebenan… nicht aber, um eurem Leben und eurem Vergnügen zu dienen. Man hat euch gelehrt, dass euer Vergnügen in der Unmoral liegt und dass Schlechtigkeit euren Interessen am besten dient. Ein Moralkodex darf daher nicht für, sondern muss gegen euch konzipiert sein, darf euer Leben nicht schön, sondern muss es schwer machen.

    Jahrhundertelang tobte der Kampf um die Moral zwischen denen, die behaupteten, euer Leben gehöre Gott, und denen, die behaupteten, es gehöre euren Nachbarn… zwischen denen, die predigten, das Gute sei Selbstaufopferung für Geister im Himmel, und denen, die predigten, das Gute sei Selbstaufopferung für Unfähige auf der Erde. Und keiner kam und sagte, dass euer Leben euch gehört, und dass das Gute darin besteht, es zu leben.

    Beide Seiten stimmten darin überein, dass Moral die Aufgabe eures Selbstinteresses und eures Verstandes verlangt, dass Moral und Praxis Gegensätze sind, dass Moral nicht auf Vernunft, sondern auf Glauben und Zwang beruht. Beide Seiten stimmten überein, dass eine rationale Moral nicht möglich ist, dass die Vernunft kein Recht und kein Unrecht kennt, dass es keinen vernünftigen Grund für moralisches Verhalten gibt.

    Wofür eure Moralisten auch immer gekämpft haben, stets standen sie vereint gegen den menschlichen Verstand. Alle ihre Pläne und Systeme waren allein darauf angelegt, den menschlichen Verstand zu verderben und zu zerstören. Entscheidet Euch jetzt, ob ihr untergehen oder lernen wollt, dass Vernunftfeindlichkeit Lebensfeindlichkeit ist.“

  2. Hmm, ob es dem 25jährigen Mädel im Sportwagen des Sugar Daddys um „Freundlichkeit und Aussehen“ geht? Im übrigen habe ich im Bekanntenkreis Fälle, die eine andere Sprache sprechen – die netten Typen wurden als Mülleimer für Psychoprobleme genutzt, weil sich die Mädels immer an den Hals von irgendwelchen halbgaren Figuren geworfen haben.

    1. Mir erscheint es bisweilen, als ob die unscheinbaren Männer ihre Freundlichkeit überschätzen. Ein Mann ist ja nicht schon freundlich, wenn er auf Anfrage eine Hausarbeit neu formatiert. Freundlichkeit beinhaltet immer ein gewisses Maß an Ritterlichkeit, an Galanterie. Ein freundlicher Mann macht Geschenke, die nicht teuer, aber überraschend zu sein brauchen. Er hat einen Sinn für Dramatik, für Romantik. Ich habe einmal von einem sehr freundlichen Mann hunderte von Luftballons bekommen, die er in meiner Einzimmerwohnung aufgeblasen hatte. Eine Freundin wurde einmal von einem sehr freundlichen Mann in sein Auto komplimentiert und nach Sylt gefahren. Er hatte eine Decke und eine Flasche Champagner dabei und las ihr am Meer aus „Romeo und Julia“ vor. Wer sich als guter Freund anbietet, darf sich nicht wundern, wenn er genau diesen Status bekleidet. Das hat aber mit Sugar Daddies nichts zu tun.

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