Satansbraten

Verdammt, würde ich gerne brüllen. Kleiner Satansbraten. Bin ich etwa nicht heute morgen ungefähr eine Stunde vor meiner üblichen Arbeitszeit im Büro aufgetaucht? Und habe ich nicht schwer schnaufend durchgearbeitet, auf jede Kaffeepause verzichtet und bin dann ganz, ganz schnell zu dir gefahren? Obwohl ich dafür heute abend bluten und noch viel zu lange arbeiten werde? Und jetzt – ich hole tief Luft und blase beide Backen auf – stehst du einfach da, im Garten der Kita, und haust deinen verdammten Laternenstab gegen den Boden und freust dich am wirbelnden Licht.

Gut, jetzt ist die Laterne also kaputt. Gehen wir also ohne Laterne. Schau, deute ich auf die anderen, mir gerade sehr brav erscheinenden 60 Kinder. Die haben auch alle Laternen. Und ihre Mütter haben zwei richtig gut funktionierenden Beine. Nichts gebrochen. Denen fällt es hier und heute um Einiges leichter, durch den dunklen Volkspark zu laufen. Ich finde, blicke ich den F. scharf an, unter diesen Umständen könntest du auch ein bisschen weniger trödeln. Vielleicht gibst du mir einfach die Hand und läufst brav im Pulk mit.

Schau, jetzt sind die anderen Kinder kaum mehr zu sehen. Die sind nämlich alle da vorn. Nur wir laufen der ganzen restlichen Gruppe hinterher. Das scheint dich aber gar nicht zu stören. Du läufst fröhlich quietschend hinter deinen beiden Freunden her, die ich gerade gar nicht so recht leiden kann. Ist der E. nicht eigentlich nicht …? Und die J. erst! Gibt es eigentlich keine artigeren, freundlichen Kinder, mit denen du spielen und an denen du dir ein Vorbild nehmen kannst? Die C. etwa, die dreijährige Tochter von Freunden: Die spricht das reine Schriftdeutsch inklusive Futur, Passiv und Konjunktiv, kann schon ein wenig lesen und konnte in deinem Alter schon alle Stationen der Berliner U-Bahn aufsagen. Aber gut, jedes Kind hat ja angeblich so seine ganz eigenen Vorzüge. Aber wo sind heute abend eigentlich deine, mein Sohn?

Na gut, jetzt hast du also auch noch die Hosen voll. Andere Kinder sind ja längst trocken. Aber Jungen – sagen jedenfalls die Mädchenmütter immer – brauchen ja für alles länger. Im Kindergarten findet demnächst sogar ein Infoabend zur Jungenpädagogik statt, weil du und deine Spießgesellen, mein Kleiner, nämlich anscheinend auf den Erzieherinnen auch den Sender gehen. Immerhin sind die anderen Jungen offenbar alle am Lagerfeuer angekommen. Alle, Kleiner. Alle, außer dir.

Wir kehren also um. Wir gehen nach Hause. Ich bin richtiggehend wütend. Kurz überlege ich, ob es pädagogisch nicht doch irgendwie vertretbar wäre, jetzt eine Runde zu explodieren, so richtig mit Krach und Funkenschlag, und dann ohne Abendessen ins Bett. Also du. Schließlich verwerfe ich den Gedanken, mache mir statt dessen eine Runde Sorgen, was eigentlich jemand, der mit zwei so wenig fokussiert ist, dass er auf dem Laternenlauf den Laternenlauf einfach vergisst, mit 32 machen soll, und beschließe dann, mir etwas Gutes zu essen zu bestellen. Rotwein wäre auch schön.

Am Ende verziehe ich das Gesicht also zu so einer Art Lächeln. Ich lese vor. Ich atme vor dem Spiegel zehn Mal tief durch. Und dann gebe ich dem F. einen Gute-Nacht-Kuss und beschließe, ins Internet zu fauchen. Der kleine Satansbraten. Die höllische Fressmaschine. Der Tee-Verkipper. Der große Kaputtmacher. Diese schrille Heulboje. Wehleidiger Sadist.

(Mein Herz. Mein kleiner Liebling)

34 Gedanken zu „Satansbraten

  1. „Im Kindergarten findet demnächst sogar ein Infoabend zur Jungenpädagogik statt, weil du und deine Spießgesellen, mein Kleiner, nämlich anscheinend auf den Erzieherinnen auch den Sender gehen.“

    Ihr Kleiner ist zwei Jahre alt? Und verstehe ich es richtig, dass die Erzieher/innen nichts besseres zu tun als einen Infoabend zu „Jugendpädagogik“ zu veranstalten, weil die kleinen Racker anscheinend nicht hören wollen?
    Äh, was erwarten die Erzieher/innen von kleinen Rackern? Die sind einfach so. Die sollen mit den Kleinen rausgehen, beschäftigen und sich austoben, die Welt erkunden lassen, gemächlich ein paar grundlegende Dinge beibringen und dabei Geduld haben. Das wird schon. Ansonsten haben die Erzieher/innen den falschen Beruf ergriffen.

    1. Ich glaube, das geht auf die Eltern zurück. Genauer gesagt, auf die Bubenmütter, die mit ihren bisweilen etwas lauteren, etwas wilderen und durchschnittlich etwas später durchstartenden Kindern nicht immer so ganz glücklich sind.

      Die Erzieherinnen dagegen machen einen erstaunlich gelassenen Eindruck. Ohnehin, Zaubererinnen, allesamt. Wie man es hinbekommt, zu zweit mit 15 Kindern zu basteln, zu singen oder sonst etwas Strukturiertes zu machen – und es kommt tatsächlich etwas dabei heraus. Ein tägliches Mirakel.

        1. Wenn Sie möchten, können Sie die anderen Mütter bashen. Also, zu rund 50%. Der Rest ist super oder zumindest okay, aber alles, wovon man immer hört, gibt es tatsächlich.

  2. Verstehen kann ich Dich ja, aber. Zwei Jahre sind wirklich nicht viel, ein bisschen mehr Vernunft kann man da erst mit 3 oder 4 erwarten, finde ich. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Kinder erst mit 4 Jahren in den Kindergarten durften, wenn sie trocken waren. Unser Kleiner hat noch mit 3 1/2 Jahren die Hosen voll gemacht und abends nach seiner Pulle (mit Milch oder Kakao) gejammert. Das dauert seine Zeit.
    Artige Kinder sind langweilig, die frechen, unmöglichen sind viel interessanter. Da wird noch einiges an unerwünschter Sozialisation passieren, fürchte ich, gerade was „schlimme Wörter“ und die Sprache überhaupt angeht.

    Bloß nicht explodieren oder Strafen geben, das bewirkt nur das glatte Gegenteil. Und die Machtkämpfe gewinnen die kleinen Racker sowieso immer!

  3. PS ….und mit zwei Jahren fokussiert sein? Lach, ich glaube, er ist völlig normal für sein Alter, mit 2 ist man noch eins mit der Welt und lebt vollkommen im Moment. Er hat wahrscheinlich noch nicht mal sowas wie wie ein „Ich“, was man erziehen könnte. In Afrika werden Zweijährige noch herumgeschleppt und womöglich noch gestillt. Nur weil unsere Arbeitswelt Kitas hervorgebracht hat, heißt das noch lange nicht, dass die Kinder sich schneller entwickeln müssen als von der Natur vorgesehen.

    1. Da haben Sie recht, aber es gibt ja immer die Kinder, bei denen alles etwas schneller und reibungsloser zu funktionieren scheint als beim eigenen. Freitag immerhin war dann alles wieder okay. Die Kitagruppe des F. hatte für die Großeltern (einmal im Jahr ist Großelterntag) ein Märchen eingeübt. Der F. hat die Hauptrolle ergattert und wochenlang aufgesagt. Als er dann die ganzen Großeltern sah, war er dann aber so konfus, dass er sich erst einmal längere Zeit die Augen zuhalten musste. Es ging dann aber doch ganz gut.

  4. Jedes Kind ist anders und daher sollte man sie nicht miteinander vergleichen. Und schon gar nicht in dem Alter. 2 Jahre ist wirklich noch sehr jung. Nur weil manche westlichen Eltern ihre Kleinen in chinesische Sprachschulen schleppen (wo diese dann völlig überfordert sind) und in Japan Kleinkinder „Prüfungen“ ablegen müssen, um in bestimmte Kindergärten aufgenommen zu werden, muss man ja nicht jeden Unsinn mitmachen. Natürlich, ich plädiere schon für eine gewisse Strenge, denn ein Kind muss lernen, dass nicht alles okay ist und es zwischenmenschliche Regeln gibt. Aber man sollte es auch nicht übertreiben.

  5. „Ich hab des öfteren gesagt: »Irmingard, wenn man einmal sieht, dass eine Sache genetisch versaut ist, lässt sich das mit Prügeln allein nicht korrigiern.«
    Gerhard Polt
    🙂

    Satansbraten – sehr schönes Wort.

      1. Zusammen mit den Spießgesellen hab ich mir den Satansbraten für die nächste Gelegenheit zurechtgelget. Mein Satansbraten ist allerdings schon 13, knapp 1,80m und kann Karate. Da komme ich auch mit dem Verprügeln nicht recht zum Ziel. Ich hätte ihn doch nur zum Schach schicken sollen. 🙂

        1. Ich mag den Satansbraten. Da sehe ich immer geradezu rote, dicke Teufelchen um den Grill springen, alles etwas cartoonhaft und letztlich unernst.

    1. Für die Laterne, die der F. unmotiviert mit bunter Farbe beschmiert hat, bekomme ich noch nicht mal ein warmes Sternburg. Künstler wird er nicht.

      (obwohl ..)

  6. …als meine Tochter 2 Jahre alt war, gab es ein Ritual, das ging so:

    Tochter ins Bett gelegt, geschnauft, Ruhe. Nach ca. 20 Minuten Gebrüll. Ans Bettchen gegangen, gesungen, Ruhe!

    Nach weiteren 10 Min Gebrüll. Tochter aus dem Bettchen genommen, getragen geschaukelt, inzwischen sitzend auf meinen Bauch gelegt. Vater schläft, Tochter schläft, Ruhe – göttlich.

    Neulich, Tochter ist inzwischen 30, sagt sie, wo ich klein war, war es schön auf deinem Bauch zu liegen.

    Also, nichts ist umsonst, ROI kommt, wann auch immer

    1. Ja. Das auf jeden Fall. Selbst dann, wenn er wie heute um 21.30 im Wohnzimmer erscheint, und zwar mit heruntergelassener, aber dafür voller Hose, weil ihm ein kleines Malheur unterlaufen ist, das ihn so aufgeregt hat, dass er immer noch wach im Bett sitzt und den Räuber Hotzenplotz durchblättert. Dafür ist der J. soeben auf dem Sofa eingeschlafen.

  7. liebe melancholie modeste,
    ich habe mir erlaubt deinen schönen blog in meinen blogroll aufzunehmen. mein schöner blog ist ganz frisch und ich bin ganz unerfahren und neu in der blogosphäre. aber ich hoffe einfach, es ist in ordnung. deinen blog lese ich auf jeden fall sehr gerne. und den laternenumzug, den hab ich, glaub ich, live gesehen als ich letzte woche in berlin zu tun hatte. kann ich deinen blog eigentlich „liken“? ich finde nix… liebe grüße, mareile

  8. wunderbar. eine sehr heilsame und nervenschonende übung. mit den jahren kann man dann dazu übergehen, die monster miteinzubeziehen, hier neulich die mutter, bisschen lauter: morgen gebe ich euch alle zur adoption frei, und vorher räumt ihr noch auf, und wer hat schon wieder die schokolade? und das kind, etwas gelangweilt, weil sie gerade generell gelangweilt sind: ja mama, ich liebe dich auch.

    1. Heute ist er natürlich wieder zuckersüß: „Ich bin der kleine Bär. Und du bist der kleine Tiger. Etz nehmst du mich an die Hand. Wir gehen nach Panama!“

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