Madame wird alt

Ich möchte gerne wissen, ob man sich nicht überhaupt genieren wird, alt zu sein? – Vor den anderen vielleicht nicht, sie sind ja daran gewöhnt, daß es alte Leute gibt, und finden nichts Auffälliges daran. Aber vor sich selbst – denken Sie nur, als alte Dame aufzustehen und sich im Spiegel zu sehen: guten Morgen – o Gott, aber du bist ja alt – was willst du denn noch? – ja, besonders in der Früh muß es deprimierend sein, im Laufe des Tages wird man sich wohl irgendwie in seine Rolle hineinleben.

Franziska zu Reventlow, Von Paul zu Pedro

Bisweilen stehe ich vor dem Spiegel und reibe mir die Augen und schaue mich ganz genau an. Manchmal ist es dann morgens um sieben, nicht ganz so eilig wie sonst, und dann hebe ich mit zwei Fingern die Haut so ein bisschen an. Da, jetzt ist die Delle etwas stehengeblieben. Und legt sich die Haut nicht hier neben den Augen in ganz, ganz feine Fältchen, nicht unähnlich den Flügeln einer Libelle?

Doch Falten hin oder her. Wenn ich auf die Straße gehe, dann ist es meistens so gegen halb neun, würde mich niemand für 25 halten, vermutlich nicht einmal für 30. Das ist mir allermeistens auch ganz und gar egal. Nur manchmal, so auf dem Heimweg nachts durch die Stadt, durch die frühlingshafte Kühle der Mainächte, wenn man ganz optimistisch immer schon Kleider ohne Strumpfhosen trägt und nach Einbruch der Dunkelheit friert. Wenn ich nach Hause fahre und mir an der Warschauer Straße Studenten entgegenkommen, halb so alt wie ich. Wenn ich ein ganz, ganz junges Mädchen in Chucks zum Tüllrock auf einer Mauer balancieren sehe: Dann tut es mir leid, das mit dem Alter. Nicht lange, nicht sehr, nur ganz kurz und ohne dahin zu wollen, wo ich mal war, und ich spüre für einen Moment, einen Atemhauch nur, die Grenzenlosigkeit, all die Akkorde des Aufbruchs, die Freude, die Gier, den Jubel und die Erwartung an all das, was ich vergessen habe, wenn ich zu Hause bin, und was nie wiederkommen wird. In all den noch kommenden Jahren.

 

4 Gedanken zu „Madame wird alt

  1. Ja, aber was der Unterschied ist: Die Euphorie, die Atemlosigkeit der Jugend ist uns ja während der Jugend gar nicht bewusst.

    Spüren können wir es erst später.

  2. Ein wunderbarer Text! Und : Nein – ich moechte diese Zeit gerne zurueckhaben, der Sommer, noch im Juni ein weite blaue Flaeche die sich unendlich ausbreitet. Das ganze Leben ein schlampiger Plan ohne irgendwelche Details …

    Ich hatte damals schon eine sachte Ahnung von dem was kommen wuerde, aber wir waren ja unsterblich und hatten so unendlich viel Zeit.

    1. Schön wär’s, man könnte sozusagen einmal wieder in dieser Welt gastieren. Wie man ja auch für zwei Tage in die Stadt fährt, wo man zur Schule gegangen ist und mit alten Freunden Kaffee trinkt.

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