Strampeln durch die Filmgeschichte

Ich habe jetzt einen Heimtrainer. Der Heimtrainer ist fesch gelb, er ist nicht von Kettler, und er steht im Schlafzimmer vor der Wäschetruhe. Jeden Abend sitze ich auf dem Heimtrainer und trete in die Pedale, fahre mindestens eine halbe Stunde lang nach nirgendwo und warte darauf, dass mein linkes Bein irgendwann mal wieder so gut ist wie das rechte. Das habe ich mir nämlich letztes Jahr gebrochen, und seitdem ist es mit dem linken Bein irgendwie nichts Rechtes mehr, trotz Radweg ins Büro und Spaziergängen.

Weil es so unsagbar fad ist, in seinem Schlafzimmer ins Nichts zu fahren, habe ich auf der Wäschetruhe einen Bücherberg aufgestellt. Auf dem Bücherberg steht, wenn ich fahre, mein Rechner, und auf dem Rechner schaue ich Filme. Jeden Abend ein bisschen. Selten einen ganzen Film, meistens so circa einen halben Film, aber dafür Tag für Tag.

Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so viel Filme gesehen. Ich war früher ziemlich oft im Kino, aber natürlich nicht jeden Tag. Ich wollte damals in der Stillzeit viele Filme sehen, aber dann war ich doch nicht so oft zuhause, wie man mir das angekündigt hatte. Ich habe einen Haufen Filme, viele noch in Folie eingepackt, und die schaue ich mir jetzt alle an. „African Queen“ habe ich letzte Woche gesehen. Und „Inception“. „Tod auf dem Nil“ will ich noch sehen, „Ein Amerikaner in Paris“ würde ich gern mal wieder sehen, und vielleicht gucke ich nächste Woche einmal mal wieder „Eat Drink Man Woman“. Oder „Shining“.

Fürs Arthouse reicht es dagegen irgendwie nicht. Ich habe es wirklich versucht. Tarkowski. „Stalker“. Und ich wollte „Die Ehe der Maria Braun“ sehen, die finde ich nämlich eigentlich super. Irgendwas hat der Heimtrainer aber an sich, dass sich jeder Film, der eine Ernsthaftigkeitsschwelle von circa 3 von 10 überschreitet, auf dem Heimtrainer irgendwie falsch anfühlt. Vielleicht ist es das ja doch nie so ganz verschwindende Gefühl leiser Lächerlichkeit, also so stämmige Frau in mittleren Jahren, die in ihrem Schlafzimmer vor sich hin strampelt. Oder das Surren des Fahrwerks ist zu ablenkend.

Vorerst aber fühle ich mich prächtig in den seichten Gewässern der Filmgeschichte. Ich checke Listen im Internet. Die besten Filme der Neunziger. Der Siebziger. Vielleicht schaue ich mir mal wieder Hans Albers an. Oder Rock Hudson und Doris Day. Vielleicht schaue ich mir ein paar Opern an oder diese pastelligen Jane-Austen-Verfilmungen mit Emma Thompson. Vielleicht erkunde ich mal Filmwelten, die ich noch nicht kenne. Schaue mir Festivalprogramme an, sehe Filme aus Afrika oder dem Orient, singe ein bisschen mit Musicals in Technicolor und fahre, fahre, fahre gleichzeitig schwitzend auf der Stelle wie bestens unterhalten durch die ganze Welt.

8 Gedanken zu „Strampeln durch die Filmgeschichte

  1. Vorbildlich! Und tun Sie mir den Gefallen, auf dem Rad nie nie niemals mit irgendwelchen Dienstleistern zu telefonieren. Das hört sich für jemand mit Headphones auf nämlich sehr sehr, also, zu intim an.

  2. Hauptsache Sie können dann beim nächsten Kinobesuch die Füße still halten. Ansonsten ist Fahrradfahren in der echten Welt natürlich noch besser. Es muss ja nicht die Stralauer Allee sein.
    Sport Frei!

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