Donnerstag, 6. August

Der Weg zur Kita dauert fünf Minuten. Auf dem Weg zur Kita sitzt der F. auf dem Fahrrad hinter mir, piekt mich mit den Zeigefingern in die Seiten, bis ich quietschen muss, und brüllt mir in einem atemlosen Stakkato alles in die Ohren, was er sieht. Die Müllabfuhr zum Beispiel. Oder Kinder, die er kennt.

Der Weg von der Kita nach Hause dauert fünf Stunden. Jetzt läuft der F. neben mir, seinen Fahrradhelm lässig in der Hand, und erzählt sehr ausführlich, was er erlebt hat. Dass der A. wieder aus dem Urlaub zurück ist, zum Beispiel. Wer von der Schaukel gefallen ist, wer ihn getröstet hat, und dass es zum Mittagessen Eier in Senfsauce gab mit Kartoffeln und einen Apfel danach. Die Kita hat eine resolute, ältliche Köchin, die so kocht, wie ich mir die ostdeutsche Alltagsküche in den Sechziger Jahren vorstelle.

Auf dem Weg von der Kita nach Hause gibt es vier Fahrradständer mit Bügeln, an denen man turnen kann. Einen Spielplatz, auf dem ganz oft Kinder sind, die F. kennt, und die ihn über den Zaun sehen und rufen. Eine österreichische Konditorei, die Bilder ihrer berühmten Torten ins Fenster stellt, einen Bäcker, der ein fabelhaftes Brot backt, das eine Woche lang frisch bleibt, und Streusel- und Pflaumenkuchen, wie man sie selber backen würde, wenn man Zeit hätte und eine Riesenfamilie, die ein ganzes Blech Kuchen isst. Zwei Spielzeuggeschäfte gibt, eins eher so eine Art Schreibwaren- und Bastelgeschäft mit viel knallbuntem Plastik, und eins mit schicken, designten Spielzeugen, die F. natürlich längst nicht so toll findet wie Förmchen, mit denen man aus Knete Hamburger und Fritten machen kann oder Aufkleber, die glitzern. Wenn man an allen Geschäften vorbeigekommen ist, kommt Kahrmann’s.

Kahrmann’s ist ein kleines Café wie geschätzte 300 andere Cafés im Prenzlberg. Man kann also Kaffee unter einer Vielzahl unterschiedlichster Bezeichnungen trinken, man kann Muffins essen, heiße Toasts, es gibt Suppen, aber vor allem gibt es eine Eistheke, und an der Eistheke steht eine kleine Treppe. Auf und vor der Treppe stehen ungezählte Kinder, die das – wirklich ganz gute – Eis bestellen und nirgendwo anders Eis essen wollen als bei Kahrmann’s, weil es hier zwei Sorten Streusel und ein Gummibärchen aufs Eis gibt. Auch der F. ist Kahrmann’s verfallen und rennt zwanzig, fünfzig, hundert Meter voraus und stürmt die Treppe.

Inzwischen ist seit der Kita eine Stunde vergangen. Ich lasse mich auf einen der Stühle vorm Café fallen, bestelle auch ein Eis, schaue dem F. zu, der andere Kinder getroffen hat, die auf ihn einreden, und plaudere ein bisschen mit deren Mutter über Sardinien, Neulandfleisch, Hongkong mit Kind und Finanzderivate.

Als mir die A. auf einmal quasi aus dem Nichts die Arme um den Hals schlingt, falle ich fast um. Die A. ist vier, Tochter von M. und M., und mindestens so mitteilsam wie der F. Nun stehen sie beide rechts und links von mir und brüllen sowohl mir als auch einander ihre Abenteuer in die Ohren. Die Kinder haben sich erst gestern Abend zum Grillen gesehen, viele Abenteuer können an sich nicht zusammengekommen sein, aber erst, als Mutter M. erscheint, lassen beide ab. Mit Schwester und Freundin wird über den Bürgersteig getobt, und die M. und ich schweigen erst einmal fünf Minuten einträchtig vor uns hin.

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Eine halbe Stunde später erscheint der R. mit Tochter C. im Schlepptau. Alle Kinder stürzen sich auf den R., der festgenommen, verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und wieder freigelassen wird. Die M. und ich bestellen Eiskaffee für alle, es ist inzwischen schon halb sieben, und die Kinder haben ziemlich viel Eis und verhältnismäßig viele Kekse gegessen. Für Einkauf und Kochen sind wir nun zu faul. Es gibt also Pizza. Nach und nach erscheinen die noch fehlenden Elternteile, und dann geht es los. Pizzeria um die Ecke, eine Bank auf dem Bürgersteig, vier Lasagnen, extrem viel Pizza, Limo und Bier. Irgendwo im verwaisten Innenraum lärmen alle vier Kinder, und ab und zu kommt ein betrübtes Kind, das nicht mehr mitspielen darf oder gekniffen worden ist. Dann müssen alle trösten, das Kind läuft wieder los und wir setzen unser Gespräch fort. Serien, die wir gut finden, Bücher, die alle lesen sollten, David Bowie, das beste Restaurant der Pfalz, und was wir machen wollen, wenn wir im Herbst alle zusammen nach Frankreich fahren.

Als dem ersten Kind die Augen zufallen, brechen wir auf. Die Kita ist fünf Stunden her, an meiner Hand stolpert ein sehr müder F. nach Hause und singt leise vor sich hin. Geh aus, mein Herz. Mein Herz. 

Mein Herz.

7 Gedanken zu „Donnerstag, 6. August

  1. So ähnlich war auch bei uns in der Stadt nach der Kita auf der Michelwiese beim Eismann, und die Kinder haben getobt, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr konnten. Sommer ist ein Fest, toll!

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