Auf einmal hat der Erziehungsaufwand des F. deutlich angezogen. Bis vor einigen Monaten reichte es, dass er satt und sauber war und immer dabei. Sprechen, laufen und wie ein Mensch essen lernen Kinder nämlich praktisch von selbst. Gut, das Radfahren hat ihm der J. im Park beigebracht, aber eigentlich lief der F. so verhältnismäßig beiläufig neben uns her und quatschte von morgens bis abends, denn der F. kann sehr, sehr gut und vor allem viel sprechen. Dafür klettert er nicht wesentlich geschickter als ein Sack Zement seine Mutter.
Dann fuhren wir in Urlaub, und als wir zurückkamen, lag ein laminierter Zettel im Fach des F. in der Kita. Es soll Theater gespielt werden, und auf dem Zettel stand seine Rolle. Seitdem sitzen wir also in allen möglichen Situationen, wenn wir also gerade dran denken, und lassen ihn seine Rolle aufsagen. Zwischendurch hatte die Erzieherin ihm wohl mal erzählt, es liefe noch nicht so dolle, da war er sehr traurig, und ich schämte mich sehr, weil wir doch schuld waren mit unserer Faulheit. Inzwischen wurde er gelobt, jetzt ist er wieder obenauf und benörgelt seinerseits die Leistungen Dritter.
Dann schickte seine Klavierlehrerin eine E-Mail. Alle Mails, die Kinder betreffen, erhalten Mütter. Sie schickte also mir eine E-Mail. Im Anhang befand sich das Klavierstück, das der F. auf dem Weihnachtskonzert spielen soll. Stück ist etwas übertrieben, es handelt sich um ein Stück, das zum größten Teil die Klavierlehrerin spielt, und der F. spielt auch einige Sequenzen.
Seither hat unser Familienleben ein wenig gelitten. Täglich fragen wir ab, ich kann den Part der Klavierlehrerin jetzt auch schon auswendig, ab und zu bauen wir den F. auf, weil er in Tränen ausbricht, wenn irgendetwas nicht auf Anhieb hinhaut, und eines Nachts habe ich ihn vorm Klavier beim Üben erwischt. Dafür strahlt er, wenn es gut läuft, und wächst, wird er gelobt, um einige Zentimeter auf ungefähr 1,15.
Auf der einen Seite freue ich mich über meinen großen, klugen Kerl. Ab und zu schaue ich ihn an und finde ich hinreissend in seiner flinken, gewitzten Fröhlichkeit. Wie er sich über Bewunderung freut, wenn er im Museum seiner besten Freundin von Julius Caesar erzählt, den die Römer umgebracht haben, weil sie keinen Kaiser wollten. Wie er strahlt, wenn er beim Italiener seine drei, vier Worte Italienisch aus dem Urlaub herauskramt und alle sich freuen. Wenn er sich über Bücher, kleine Bürogeschichten, Politik unterhält, ganz genau nachfragt, sich vorsichtig an Meinungen herantastet und dann ganz sicher wird und sehr überzeugt von einer Seite, auch wenn es zwei oder mehr davon gibt. Dann aber schaue ich ihn an, wenn er auf dem Sofa sitzt und singt und nehme jeden Abend ein kleines bisschen Abschied von dem rundlichen Baby auf der blauen Decke mit dem Wal, von dem wackeligen Kleinkind, das sich am Tisch festhielt, von dem kleinen Kerl mit dem Löffel voll Kartoffelbrei und will jeden Moment festhalten und gleichzeitig mit ihm weiterstürmen, ins Grenzenlose und darüber hinaus.
Sehr schöner Text!
Ja, nicht nur viele erste, sondern auch viele letzte Male. *seufz*
Was für eine schöne Liebeserklärung! Man kann schon erahnen, was für ein erwachsener Mensch mal aus ihm wird. Es stimmt tatsächlich, dass sich die wesentlichen Charaktereigenschaften in den ersten drei Jahren bilden, da bin ich mir ganz sicher.
Und irgendwann sind sie über Nacht plötzlich sechzehn (ja, einfach so plötzlich), wollen ganz bald „Brunnen bauen in Afrika“ und wenn man ihnen manchmal und zunehmend vorsichtig erzählt, dass man doch erst gestern vorm Wickeltisch stand und wie vertraut das alles war, wenn sie einen anlachten, dann gähnen sie – im besten Fall wohlwollend -, weil sie am Vorabend mal wieder erst um vier heimgekommen sind. Hauptsache, es geht immer irgendwie alles gut. Bis in alle Zeiten.
Dieses Vertrauen in ihn finde ich sehr rührend. Ich glaube, es gibt nicht viele Menschen, die ihr Kind so selbstverständlich uneingeschränkt lieben.