Der Orang Utan hat wahnsinnig lange Haare. Mehr als einen Meter unter dem Orang Utan hängen noch seine Haare ins Gehege, und als er sich vom Ast zur Strebe und weiter auf ein kleines Sims schwingt, beneide ich den Orang Utan ein bisschen. Der hat es gut, denke ich, wieso auch immer, aber dann gehe ich weiter, und der Affe bleibt, wo er ist.
Zwei Stunden später sehe ich noch immer den Orang Utan. Aus dem zehnten Stock des Hotels 25 Hours kann man in den Affenkäfig sehen, und ganz klein, sehr weit unten, sehe ich den rotbraunen Affen inmitten von Laub und Büschen in dem Gestänge seines Käfigs sitzen. Oben sitzen wir und essen im Neni den gebeizten Lachs, den Jerusalem-Teller, Hummus mit einem sehr lecker-glibberigen Ei, und unterhalten uns sehr gemächlich so vor uns hin. Auf seinem Stuhl ist der F. inzwischen auf zwei dicken, blauen Kissen eingeschlafen.
Am Abend fahren wir wieder westwärts. Alex, Friedrichstraße, Hauptbahnhof, Savignyplatz, und dann vorbei am Olympiastadion. Als wir in der Waldbühne ankommen, fallen einige dicke Tropfen, und der J. streckt prüfend die Hand aus und schaut mich mit zusammengezogenen Brauen an. Mit je einem Glas und einer Brezel in der Hand schieben wir uns durch die Waldbühne.
Dann aber versiegt der Regen. Die Musiker des West Eastern Divan Orchestra setzen sich, rascheln, Töne erklingen und verstummen, und als Daniel Barenboim erscheint, wird es ganz still. Beethoven, das Tripelkonzert op. 56, entfaltet sich in die warme Sommerluft, und für zwei Stunden trete ich über die Ufer meiner Haut, werde größer, warm, feingespinstiger sozusagen und wehe im Abendwind den märkischen Kiefern entgegen, dem warmen Sand und unser aller Himmel.
Die Zahnärztin macht es spannend. Um fünf nach zwei öffnet sie die Tür, heißt mich den Mund zu öffnen, haut mir ohne weitere Fragen zwei Spritzen ins Zahnfleisch und verschwindet dann wieder ohne weitere Worte. Verdutzt sitze ich auf dem Zahnarztstuhl und schaue an die Decke. Langsam wird meine rechte Wange taub. Dann mein Kinn, zuletzt die Brauen.
Bewegungslos starre ich an die Decke. Es ist heiß in der Zahnarztpraxis, sehr heiß sogar, um die 30 C, und ich spüre, wie sich mein Gesicht mit einem glänzenden Schweißfilm überzieht. Ich muss, überlege ich mir, gerade ziemlich lächerlich aussehen, wie ich da so liege: Füllige Frau in mittleren Jahren mit leicht verzerrtem Gesicht und total verschwitzt.
Die Ärztin, wie ich feststelle, ist sehr jung und beherrscht die Kunst, überhaupt nicht zu schwitzen. „Öffnen sie den Mund.“, sagt sie merkwürdig leblos, und ich überlege kurz, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei ihr um eine Androidin haltet. Zu teuer, verwerfe ich den Gedanken, und dann öffne ich folgsam den Kiefer und konzentriere ich mich auf einen leicht gelblich verfärbten Punkt an der ansonsten makellosen Decke. Wenn ich gern irgendwo wäre, wo ich nicht bin, schalte ich in meinem Kopf Musik an, und so singt auch jetzt Richard Tauber auf einem schneeweißen Podest in meinem Großhirn Auszüge aus Gräfin Mariza, denn wenn Tauber ganz allein für mich singt, ist mir egal, was andere Leute denken. Heute also: Light Classic. Operetten bis zum Abwinken, und zwischendurch das Ave Maria.
Als es kracht, komme ich wieder zu mir. Richard Tauber bleibt wie angewurzelt stehen, das Licht geht aus, die Fassaden bröckeln, und für einen Moment werde ich panisch. Das ist nur der Anfang, schießt es mir durch den Kopf. Erst kracht der Zahn, dann kracht der Kiefer, dann zerspringt mir die Schädelschale, während der Android emsig weiter an dem hohlen Zahn arbeitet.
„Sie können jetzt ausspülen.“, unterbricht die Zahnärztin meine Visionen und legt mir die Hand auf die Schulter. Nächste Woche Fäden ziehen, 24 Stunden kühlen, kein Alkohol und Schonung, und dann torkele ich aus der Praxis, lasse mich nach Hause bringen und schließe auf meinem Bett die Augen. Richard Tauber singt und singt, bis der J. nach Hause kommt und den F. mitbringt.
Es ist noch früh. Die Sonne zeichnet scharf abgezirkelte Schatten aufs Parkett in der Küche, und die Katze aalt sich auf dem Rücken auf dem warmen Holz. Für einen Moment setze ich mich daneben.
Ganz still ist die Wohnung, ganz still auch die ganze Straße. Nur ein einziger Mann läuft sehr gemächlich die Straße hinab, in der Hand eine Flasche Bier.
Sehr müde bin ich auf einmal wieder, lasse den Kaffee stehen und lege mich wieder ins Bett. Schön wäre es jetzt, nicht allein zu sein, denke ich noch, und dann versinke ich wieder und schlafe, schlafe, schlafe.
Wie lang so ein Tag ist. Ich schlafe bis zehn und triumphiere über alle, die mir gesagt haben, dass sei nach ein paar Jahren mit Kind gar nicht mehr möglich. Dann dusche ich sehr lange und fahre zum Friseur.
Ich führe seit Jahren einen langen und im Wesentlichen vergeblichen Kampf um meine Haare. Ich bin Asiatin, ich habe also sehr, sehr viele Haare und sehr, sehr dicke Haare, und im Sommer habe ich deswegen regelmäßig eine Art schwere, warme, schlappe Katze auf dem Kopf. Wenn ich ein paar Monate nicht beim Friseur war: Eine riesengroße Katze. Eine Katze, die sich Versuchen, sie zu domptieren, regelmäßig entzieht, insbesondere, wenn der Dompteur den an sich ehrenwerten Beruf eines Friseurs ausübt.
Heute aber soll alles anders werden. Ich wechsele den Friseur. Mein neuer Coiffeur soll ein Spezialist für dicke Kopfkatzen sein. Pünktlich um 13.00 Uhr – frisch geduscht und gleichwohl schon wieder total verschwitzt – stehe ich beim japanischen Friseur Hoshi Coupe am Hackeschen Markt in der Tür. In den nächsten sechzig Minuten sehe ich nicht einen ethnischen Europäer, verliere mindestens einen Liter Flüssigkeit und ein Pfund Haare, aber als ich wieder vor der Tür stehe, bin ich recht zufrieden. Darauf eine Spicy Tuna Roll mit Salat und Himbeerlimonade.
Zu Hause angekommen dusche ich wieder. Die ganze Stadt kocht, brodelt, wirft Blasen und glänzt faul, aber appetitlich in der Sonne. Ich sitze ein bisschen auf dem Balkon, rieche am Lavendel, trinke ein großes, kaltes Glas Kaffee, und dann fahre ich los. Die Danziger abwärts, über die Oberbaumbrücke, obwohl das ein Umweg ist, und dann die Skalitzer hoch, über den Landwehrkanal zur Frau Engl. Das mache ich nämlich jedes Jahr und esse dann ihre Tomaten. Dieses Jahr finde ich ihre Wohnung auch sozusagen auf Anhieb, zum ersten Mal eigentlich in zehn Jahren, und triumphiere. Ich bin quasi pünktlich.
Als ich Frau Engl verlasse, schiebe ich mein Rad langsam die Weserstraße entlang. Rechts und links sitzen sehr junge Menschen auf Stühlen und Bürgersteigen und trinken Bier. Heute Abend wäre auch ich gern noch einmal jung und hätte die ganze Nacht noch vor mir, aber dann trinke ich doch nur ein alkoholfreies Bier im Gehen und stehe lange an der Spree, die fließt, als wären die vielen Jahre noch nicht vorbei.
Als der J. langsam zurücksetzt, fühle ich mich kurz sehr einsam. Der F. winkt, ich winke, dann blinkt es links, und der Wagen verschwindet. Allein gehe ich heim.
Sehr still wirkt die Wohnung, nur die Katze streicht mir um die Beine. Mehr als drei Jahre lang war ich keine Nacht allein zuhause, fällt mir ein, und dann krame ich in meinen Erinnerungen, ob das eigentlich stimmen kann. Es scheint aber zuzutreffen, zumindest fällt mir nichts anderes ein.
Zur Feier des Tages dusche ich sehr lange und freue mich, dass niemand die Tür öffnet und Hunger hat oder an die Bastelkiste will. Dann liege ich auf dem Bett, strecke die frisch lackierten Zehennägel der Decke entgegen und lese ein wenig unkonzentriert hier drei Seiten und dort vier. Ich könnte Fahrrad fahren, fällt mir ein. Das mache ich wahnsinnig gern, Radfahren durch die Stadt im Sommer.
Schließlich aber bleibe ich liegen. Ich trinke eiskaltes Wasser, ich esse ein Spiegelei und schmelze dicke Käsescheiben in der Pfanne. Um kurz nach neun ziehe ich mir mein leichtestes Kleid an, gehe zur Saphire Bar und bestelle mir einen Cocktail, den ich sehr langsam schweigend trinke, bis die C. kommt und der Abend sanft in der sommerlichen Hitze verklingt.
Der Weg zur Kita dauert fünf Minuten. Auf dem Weg zur Kita sitzt der F. auf dem Fahrrad hinter mir, piekt mich mit den Zeigefingern in die Seiten, bis ich quietschen muss, und brüllt mir in einem atemlosen Stakkato alles in die Ohren, was er sieht. Die Müllabfuhr zum Beispiel. Oder Kinder, die er kennt.
Der Weg von der Kita nach Hause dauert fünf Stunden. Jetzt läuft der F. neben mir, seinen Fahrradhelm lässig in der Hand, und erzählt sehr ausführlich, was er erlebt hat. Dass der A. wieder aus dem Urlaub zurück ist, zum Beispiel. Wer von der Schaukel gefallen ist, wer ihn getröstet hat, und dass es zum Mittagessen Eier in Senfsauce gab mit Kartoffeln und einen Apfel danach. Die Kita hat eine resolute, ältliche Köchin, die so kocht, wie ich mir die ostdeutsche Alltagsküche in den Sechziger Jahren vorstelle.
Auf dem Weg von der Kita nach Hause gibt es vier Fahrradständer mit Bügeln, an denen man turnen kann. Einen Spielplatz, auf dem ganz oft Kinder sind, die F. kennt, und die ihn über den Zaun sehen und rufen. Eine österreichische Konditorei, die Bilder ihrer berühmten Torten ins Fenster stellt, einen Bäcker, der ein fabelhaftes Brot backt, das eine Woche lang frisch bleibt, und Streusel- und Pflaumenkuchen, wie man sie selber backen würde, wenn man Zeit hätte und eine Riesenfamilie, die ein ganzes Blech Kuchen isst. Zwei Spielzeuggeschäfte gibt, eins eher so eine Art Schreibwaren- und Bastelgeschäft mit viel knallbuntem Plastik, und eins mit schicken, designten Spielzeugen, die F. natürlich längst nicht so toll findet wie Förmchen, mit denen man aus Knete Hamburger und Fritten machen kann oder Aufkleber, die glitzern. Wenn man an allen Geschäften vorbeigekommen ist, kommt Kahrmann’s.
Kahrmann’s ist ein kleines Café wie geschätzte 300 andere Cafés im Prenzlberg. Man kann also Kaffee unter einer Vielzahl unterschiedlichster Bezeichnungen trinken, man kann Muffins essen, heiße Toasts, es gibt Suppen, aber vor allem gibt es eine Eistheke, und an der Eistheke steht eine kleine Treppe. Auf und vor der Treppe stehen ungezählte Kinder, die das – wirklich ganz gute – Eis bestellen und nirgendwo anders Eis essen wollen als bei Kahrmann’s, weil es hier zwei Sorten Streusel und ein Gummibärchen aufs Eis gibt. Auch der F. ist Kahrmann’s verfallen und rennt zwanzig, fünfzig, hundert Meter voraus und stürmt die Treppe.
Inzwischen ist seit der Kita eine Stunde vergangen. Ich lasse mich auf einen der Stühle vorm Café fallen, bestelle auch ein Eis, schaue dem F. zu, der andere Kinder getroffen hat, die auf ihn einreden, und plaudere ein bisschen mit deren Mutter über Sardinien, Neulandfleisch, Hongkong mit Kind und Finanzderivate.
Als mir die A. auf einmal quasi aus dem Nichts die Arme um den Hals schlingt, falle ich fast um. Die A. ist vier, Tochter von M. und M., und mindestens so mitteilsam wie der F. Nun stehen sie beide rechts und links von mir und brüllen sowohl mir als auch einander ihre Abenteuer in die Ohren. Die Kinder haben sich erst gestern Abend zum Grillen gesehen, viele Abenteuer können an sich nicht zusammengekommen sein, aber erst, als Mutter M. erscheint, lassen beide ab. Mit Schwester und Freundin wird über den Bürgersteig getobt, und die M. und ich schweigen erst einmal fünf Minuten einträchtig vor uns hin.
Eine halbe Stunde später erscheint der R. mit Tochter C. im Schlepptau. Alle Kinder stürzen sich auf den R., der festgenommen, verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und wieder freigelassen wird. Die M. und ich bestellen Eiskaffee für alle, es ist inzwischen schon halb sieben, und die Kinder haben ziemlich viel Eis und verhältnismäßig viele Kekse gegessen. Für Einkauf und Kochen sind wir nun zu faul. Es gibt also Pizza. Nach und nach erscheinen die noch fehlenden Elternteile, und dann geht es los. Pizzeria um die Ecke, eine Bank auf dem Bürgersteig, vier Lasagnen, extrem viel Pizza, Limo und Bier. Irgendwo im verwaisten Innenraum lärmen alle vier Kinder, und ab und zu kommt ein betrübtes Kind, das nicht mehr mitspielen darf oder gekniffen worden ist. Dann müssen alle trösten, das Kind läuft wieder los und wir setzen unser Gespräch fort. Serien, die wir gut finden, Bücher, die alle lesen sollten, David Bowie, das beste Restaurant der Pfalz, und was wir machen wollen, wenn wir im Herbst alle zusammen nach Frankreich fahren.
Als dem ersten Kind die Augen zufallen, brechen wir auf. Die Kita ist fünf Stunden her, an meiner Hand stolpert ein sehr müder F. nach Hause und singt leise vor sich hin. Geh aus, mein Herz. Mein Herz.
„Vier Steaks und sieben Würste.“, bestelle ich und unterhalte mich mit der schwitzenden Verkäuferin beim Metzger über die Frage, ob es zu viele Wurstsorten gibt, oder genau richtig viele. Dann packe ich alles ein und fahre los.
Der M. steht schon am Grill, die ersten Biere sind offen, und der F. läuft mit den beiden Mädchen von M. und M. quietschend durch die Wohnung. Ich wasche Salat, trinke einen dunklen, tintigen Rotwein und stecke mir eine gefüllte Paprika nach der anderen in den Mund.
„Das Zelt ist ganz leicht aufzubauen.“, bepackt der M. den J. mit seiner Campingausrüstung, und dann fahren wir heim, das Auto voll mit Matten und Schlafsäcken und einem Zelt für zwei.
„Na klar!“, antworte ich, als der F. fragt, und fahre nach der Kita direkt einkaufen und nicht nach Hause. Die Nudeln gibt es morgen, statt dessen landet ein Stück Melone im Einkaufswagen, ein Kastenweißbrot, Appenzeller und Frankfurter, eine Schachtel Kekse, Waffeln, Hummus, Mochis und Karottencracker. Zwei Flasche Bier kaufe ich noch, ein bißchen Saft, und dann sitzen wir schließlich im Park. Schon wird es acht. Langsam versinkt die Sonne hinter dem Märchenbrunnen, ein Mann hebt seine Freundin auf den ausgestreckten Beinen waagerecht dem knallblauen Himmel entgegen, und zwei kleine, blonde Mädchen laufen in weißen Kapuzenhandtüchern über die Wiese.
Der F. zieht einen riesigen Stock hinter sich her und bekämpft feuerspeiende Drachen. „Ich schlaf heute hier!“, kneift er auf dem Rücken liegend die Augen zu und wälzt sich auf der sommerwarmen Erde: Nirgends schöner als hier.
Nach über zwanzig Minuten reißt die Piñata, und alle vier Kinder rennen in einen Regen aus Konfetti, Süßigkeiten, Flummis und anderen kleinen Geschenken. „Wir müssen weiter.“, verabschieden wir uns von dem dreijährigen Gastgeber und seinen Eltern, drücken Mütter, schütteln Kindern und Vätern die Hand, und sitzen schon wieder im Auto.
Zwanzig Minuten später steigen wir in Grunewald aus dem Auto. Mit einem Weißwein sitze ich auf der Terrasse, schaue den B. an, der Steaks auf seinem neuen Grill wendet, schaue den Kindern beim Versteckspielen zu und esse unfassbar leckeren Mangosalat.
„Das war ein schöner Tag.“, sagt mir der F., als er abends im Bett liegt, die Decke bis unters Kinn hochgezogen, und aus der kleinen Faust löst sich ein bisschen buntes Konfetti.
Immerhin sitze ich nicht bei 15 Grad für Säcke voll Geld an der Ostsee, rede ich mir das Berliner Temperaturdesaster schön und gehe um zehn ins Bett. Ich bin schlecht gelaunt, denn meine Teigtaschen im Brot und Rosen waren nicht nur etwas zu al dente und mit einem ziemlich krümeligen Hackfleisch gefüllt, sondern auch zu wenig, um davon satt zu werden. Dann aber schlage ich Auerhaus von Bov Bjerg auf und stürze kopfüber in die Achtziger Jahre. Ich weiß das doch noch, erinnere ich mich an meinen Thermopullover, an meine Lieblingsjeans mit 15, den Geruch von Kirschtee und einen Karton voll Kassetten. Dann aber vergesse ich Kulisse und Kolorit und lese eine zeitlose Geschichte über die Zwischenjahre, diese schmale Scheibe aus Zeit zwischen den Zwängen der Schulzeit und den Zwängen von Uni, Beruf, Familie. Bei mir waren das immer nur ein paar wenige Wochen oder Monate, immer so gerade zwischen zwei Etappen gemogelt, und es tut mir ein bisschen leid, dass ich nie ein Auerhaus bewohnt habe, einen Ort außerhalb der Zeit, scheinbar eine Schüler-WG irgendwo in der Provinz, aber in Wirklichkeit ein schwankendes, labiles, wahrhaft schmerzliches Arkadien.
Fünf Bewohner hat das Auerhaus, alle auf der Durchreise aus einem Kinderleben in ein richtiges, eigenes Leben, ein eigenes Ich. Vorerst sind sie alle um die 18, Halblinge des Erwachsenenlebens, weder Fisch noch Fleisch und an die Gebote der Gesellschaft so wenig gebunden, dass auch ihre Regelbrüche noch etwas Unschuldiges haben, als seien sie an das Verbot des Stehlens etwa weniger gebunden als die, deren Füße schon fest in der Erde fußen.
Dem leichten, auch leichtsinnigen Unernst stellt Bov – und diese Spannung trägt das Buch auch über die untiefen Stellen – den äußersten, bittersten Ernst gegenüber: Nur wegen Frieder wohnen die anderen im Auerhaus, nur, um Frieder von einem weiteren Suizidversuch abzuhalten, wird hier gelebt, gefeiert, kaum geliebt irritierenderweise, und dieser schwarze Untergrund verleiht dem hell getuschten Treiben der Übrigen eine fiebrige Tiefe, und als ich das Buch zuschlug, viel zu spät für einen Mittwochabend, war ich so 18, wie ganz lange nicht mehr, und hätte gern mit dem Ich-Erzähler Höppner Hühnerknecht ein Bier getrunken und ihm erzählt, dass noch bessere Jahre kommen mögen, wenn man einmal erwachsen ist. Aber keine mehr, die man so sehr spürt wie diese.
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