Man braucht nicht verheiratet zu sein, um eine Schwiegermutter zu haben. Meine ruft gestern an, es ist 17.30 Uhr, und ich liege auf dem Sofa und amüsiere mich mit einer Tasse Tee über Marina Lewyckas A Short History of Tractors in Ukrainian.
Wenn das Telephon klingelt, nimmt der J. so gut wie nie an, weil er keine Lust hat, aufzustehen. Ich dagegen wuchte mich vom Sofa, wühle in der Wohnung nach dem Fernsprechgerät und belle irgendwann „Modeste!“ in den Hörer. – „Ja? Modeste?“, flötet die Mutter der J. zurück. „Es ist deine Mutter!“, rufe ich dem J. zu, der aber einfach nur nickt und keine Anstalten macht, nach dem Telephon zu greifen. Nach dem letzten komplett misslungenen Besuch reicht es vermutlich auch ihm, denn es gibt kaum etwas Anstrengenderes als den Autofetisch des Vaters vom J. und die schrill-verzweifelten Versuche seiner Mutter, die etwas unterkühlte Stimmung während der Besuche durch demonstrative Fröhlichkeit zu verdecken, wenn nicht gar zu beseitigen. Die Versuche misslingen regelmäßig und machen jeweils alles eigentlich noch viel schlimmer.
„Habt ihr denn auch schon einen Baum?“, leitet die Mutter des J. das Gespräch auf das bevorstehende Fest. Ich verneine. Der J. soll den Baum kaufen, ich kümmere mich um das Essen, die Dekoration und die Koordination mit den Freunden, mit denen gefeiert werden soll, und wälze unendlich viele Kochbücher auf der Suche nach Vor- und Zwischengängen, Desserts und befrage das Internet und spezialisierte Händler wegen passender Weine. Nur das Hauptgericht steht fest: Es gibt eine Ente mit Maronen, Knödel und Rotkohl dazu.
„Das klingt ja schön.“, jubelt die Mutter, deren Harmoniebedürfnis es verbietet, irgendetwas auf Erden nicht als optimal einzuordnen. Auch Fondue am Heiligabend sei gut, denn das sei ja überhaupt das Beste.
Was denn meine Eltern machen, werde ich weiter befragt, und antworte wahrheitsgemäß, diese feierten auch dieses Jahr am Strand. Es solle, wie ich per E-Mail erfahren habe, ein Elefantenfest geben mit einem festlichen Diner. Meine Eltern feiern seit Jahren außer Landes und bleiben dieses Jahr gleich mehrere Monate da. „Ach schön!“, kommentiert die Mutter des J., die selbst niemals im Ausland überwintern würde, und setzt zum Sprung an.
„Wann sollen wir denn kommen?“, werde ich also gefragt. „Am 26. oder am 27.?“, setzt man mir die Pistole auf die Brust. Ich schnaufe. Mein Familiensinn erstreckt sich höchstens auf meine eigene Familie. Ich brauche außerdem gerade dringend Urlaub, und es gibt kaum etwas, was dem Erholungseffekt so zuwiderläuft wie der angekündigte Besuch.
„Wir machen auch alles so, wie ihr es sagt!“, drängt die Mutter des J. weiter. Wir sollen das Programm aussuchen und das aufzusuchende Lokal. Keinesfalls würden sie lange bleiben, wird mir versichert, und die Mutter tut mir ein bißchen leid. Es kann nicht schön sein, so betteln zu müssen, wenn man seinen einzigen Sohn Weihnachten besuchen will.
„Soll deine Mama Samstag oder Sonntag kommen?“, frage ich daher den J., statt einfach zu behaupten, wir seien total verplant und hätten keine Zeit. Ich ärgere mich im selben Moment. „Dann Sonntag.“, grunzt der J. und sieht auch etwas angestrengt aus.
„Ach schön!“, zwitschert die Mutter nun deutlich entspannter. Sie habe auch schon Geschenke gekauft, und ich schiebe die Frage vorerst weg, wo ich weitere Handtücher und Bettwäsche unterbringen soll, die ich seit Jahren in einer Art Festtagsabonnement beziehe. Die letzten liegen noch unausgepackt unter dem Bett, aber das sage ich nicht.